42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Verzeihung zu bitten. Ich bettelte mir die Überfahrtsgelder zusammen und kehrte nach Spanien zurück. Die Krankheit hat meinen Körper verheert, und niemand kann mich erkennen. So konnte ich es wagen, die Höhle aufzusuchen, um mich nach dem Knaben zu erkundigen. Gott hat es gefügt, daß ich ihn gleich am ersten Tag treffe, und das ist gut, denn ich weiß nicht, ob ich den morgigen Tag noch erleben werde. Meine Brust ist leer, und der Tod steht keinen Schritt entfernt von mir!“
Ein fürchterlicher Hustenanfall ergriff den Alten, und eben, als derselbe ausgetobt hatte, hörten sie leise Schritte sich der Zelle nähern. Mariano trat sofort in den vorderen dunklen Winkel des Raumes, und der Pater stellte sich so, daß ihn das Licht der Lampe nicht bescheinen konnte.
Die Tür wurde geöffnet und – der Hauptmann stand vor derselben.
„Was geht hier vor?“ fragte er.
„Tritt nicht ein, Capitano“, bat der Pater. „Du unterbrichst die Beichte dieses sterbenden Mannes!“
„Ach so! Warum blieb er nicht in derjenigen Zelle, welche ich ihm durch Mariano anweisen ließ?“
„Darf die Beichte eines Sterbenden von Unberufenen gehört werden, Hauptmann? Hier sichert uns die Tür davor, daß wir belauscht werden.“
„Ihr seid sehr vorsichtig, frommer Pater! Ich hoffe, daß diese Beichte nichts enthält, was unserer Gesellschaft Schaden bringt.“
„Die Beichte eines Bettlers? Geh, Capitano, ich glaube, du treibst mit dem Sakrament Scherz?“
Der Hauptmann entfernte sich, ohne Mariano bemerkt zu haben. So war eine große Gefahr glücklich vorübergegangen. Der Pater horchte, bis die Schritte des Capitanos vollständig verklungen waren, und sagte dann:
„Mein Sohn, du hast eine sehr große Sünde begangen. Du hast ein Kind seinen Eltern geraubt und bist schuld daran, daß es ein Räuber geworden ist. Diese Sünde ist viel größer, als du denkst, aber noch größer ist Gottes Gnade; er wird dir verzeihen, wenn dir derjenige vergibt, an dem du gesündigt hast.“
Der Kranke erhob die Hände und den bittenden Blick zu Mariano. Dieser trat näher und streckte ihm die Hand entgegen.
„Manuel Sertano, ich vergebe dir“, sagte er. „Ich ersehe die ganze Größe deines Vergehens, aber auch ich bin ein Sünder, und Gott mag mir vergeben, wie ich dir vergeben habe.“
Der Bettler legte sein Haupt rückwärts; seine eingesunkenen Augen schlossen sich, und über seine Züge breitete sich der Ausdruck eines tiefen Friedens.
„Oh, wie leicht und wohl wird es mir!“ flüsterte er. „Mein Gott, ich danke dir, denn nun kann ich ruhig sterben!“
„Ja“, sagte der Pater. „Nun entbinde ich dich kraft meines Amtes nochmals von deinen Sünden. Du hast sie bereut, und sie sind dir vergeben!“
„Ich dachte nicht, daß sie mir vergeben würden, denn ich habe das Glück einer jedenfalls sehr vornehmen Familie zerstört. Nun aber soll auch das Notwendige getan werden, um das gutzumachen. Ich sehe, daß Ihr Papier und Feder bei Euch führt, frommer Vater. Schreibt alles auf, und ich will Euch meine Unterschrift geben, um diesen Jüngling als denjenigen anzuerkennen, welcher geraubt wurde.“
„Ja, das werden wir tun“, sagte der Pater, indem er die Schreibutensilien hervorzog. „Zwar ist das, was wir von dir erfahren, nicht vollständig, aber Gott wird helfen, daß wir auch noch erfahren, wo jener fremde Mann ist, welcher Señor Gasparino genannt wurde, und wo diejenigen Leute sind, denen ihr Kind umgewechselt wurde.“
„Der Capitano weiß sicherlich alles“, meinte Mariano. „Ich werde ihn zwingen, es mir zu sagen.“
„Um Gott, das tue nicht!“ warnte der Pater. „Er wird sich niemals zwingen lassen, sondern dich ganz sicher töten, sobald er sein Geheimnis in Gefahr sieht. Wir müssen ohne Falsch sein wie die Tauben, aber auch klug wie die Schlangen, mein Sohn. Die List wird uns viel leichter zum Ziel führen als die Gewalt. Wie hieß das Gasthaus, in welchem die Verwechslung geschah?“
„Es war der Gasthof ‚L'Hombre grand‘ (‚Zum großen Mann‘)“, antwortete der Bettler.
„Und in welchem Zimmer geschah es?“
„Ich holte den Knaben aus dem hintersten Zimmer, eine Treppe hoch. Wir aber befanden uns im zweiten Zimmer, von der Treppe an gerechnet.“
„Haben die Fremden von der Verwechslung etwas gemerkt?“
„Ich weiß es nicht, denn wir verließen das Haus noch vor Anbruch des Morgens, während man noch schlief.“
Jetzt begann der Pater die Anfertigung des wichtigen Dokumentes,
Weitere Kostenlose Bücher