42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
welches alles enthielt, was wichtig war. Als er es beendet hatte, wurde es von dem Bettler unterzeichnet, und dann setzte der Dominikaner zur Beglaubigung seine Signatur darunter.
„So“, sagte er, „diese Schrift werde ich auf das sorgfältigste aufbewahren, denn bei mir ist sie sicherer als an jedem anderen Ort. Wir gehen jetzt, ich aber werde gleich wieder zurückkehren, um dich zu pflegen und dir in deinen schweren Anfällen beizustehen. Das ist die Pflicht eines Mannes, welcher der Religion angehört.“
Dies geschah. Mariano kehrte zwar in seine Zelle zurück, aber er fand während der ganzen Nacht keine Ruhe. Was er erfahren hatte, war so unendlich wichtig für ihn und lag gerade in der Hauptursache noch so tief im Geheimnis verborgen, daß es sein ganzes Nachdenken in Anspruch nahm.
Er hatte bisher den Hauptmann als seinen Wohltäter betrachtet, nun aber hatte er ihn als die Ursache eines Verbrechens kennengelernt, welches ihn, den unschuldigen Knaben, aus den Armen liebevoller und vornehmer Eltern gerissen und unter eine Bande geächteter Menschen gebracht hatte. Die Zuneigung für den Capitano verwandelte sich in einem Augenblick in Haß; auf ihn fiel der ganze Zorn des jungen Mannes, denn der Bettler war ja nur ein Werkzeug gewesen; er hatte gehorchen müssen und dann gebüßt; er stand am Rand des Grabes, und dies machte auf den weichherzigen Mariano einen solchen Eindruck, daß er dem alten Mann nicht zu zürnen vermochte. Er beschloß, seine Abneigung den Hauptmann nicht merken zu lassen, im stillen sich aber alle Mühe zu geben, das Geheimnis seiner Geburt und Abstammung aufzuklären.
Es gab in der Brigantenhöhle noch einen, welcher erst spät zur Ruhe kam, und das war der Hauptmann.
Er saß in seiner Zelle, deren Wände mit kostbaren Waffen behangen waren. Den Kopf schwer in die Hand gestützt, war er in ein tiefes, grübelndes Nachdenken versunken, aus welchem er zuweilen auffuhr, um einige halblaute Worte zu murmeln.
„Dieser Gasparino Cortejo ist ein großer Schurke, viel schlimmer als der schlechteste Brigant!“ brummte er. „Warum will er diesen Doktor töten lassen? Hm, ich habe eigentlich gar nicht danach zu fragen; aber ich möchte es doch wissen. Er zahlt gut, aber ein Dummkopf ist, wer eine Zitrone nicht so sehr quetscht, daß auch der letzte Safttropfen herauskommt.“
Wieder sann er nach. Sein Gedankengang schien ein sehr unruhiger zu sein, wie an dem Spiel seiner Mienen zu ersehen war. Er erhob sich sogar, ging einige Schritte auf und ab und murmelte dann weiter:
„Auch die Geschichte mit dem Mariano soll mir noch manches Sümmchen einbringen. Ich sollte den Jungen töten, aber ich wäre doch ganz ohne Verstand gewesen, wenn ich es getan hätte. Er bleibt mir eine immerwährende Geisel für den Advokaten. Jetzt habe ich den Jungen sogar liebgewonnen, und es sollte mir leid tun, wenn ich noch gezwungen wäre, ihn ganz verschwinden zu lassen. Vielleicht brächte ich das nun gar nicht fertig!“
Er schritt abermals eine Weile in dem kleinen Raum auf und ab. Dann stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und trat an die Felsenwand seines Gemaches. Er drückte an einer Stelle derselben; ein kleines, viereckiges Stück des Steines gab nach, und es kam ein Raum zum Vorschein, in welchen der Hauptmann hineinlangte. Er brachte ein sichtlich sehr altes und zusammengelegtes Papier hervor.
„Wie sich der Alte weigerte, wie er sich wand und krümmte, als ich diesen Schein von ihm verlangte“, murmelte er vergnügt. „Aber er mußte, denn ich hatte ihn in der Hand! Und ich durfte nicht genannt werden, sondern dieser Schurke, dieser Manuel, hatte den Jungen geholt, und darum war er es, dessen Name niedergeschrieben wurde.“
Er schlug das Papier auseinander, trat näher an das Licht der Lampe heran und las:
„Ich erkläre hiermit der Wahrheit gemäß, daß der Fischer Manuel Sertano aus Mataro am 1. Oktober 18‥ in dem Gasthof ‚L'Hombre grand‘ in Barcelona auf meine Veranlassung und gegen Bezahlung von tausend Silberpiastern einen Knaben gegen einen anderen umgetauscht hat. Der umgetauschte Knabe lebt unter dem Namen Mariano unter sicherem Schutz in einer Höhle des Gebirges.
Manresa, den 15. November 18‥
Gasparino Cortejo,
Notar.“
Der Capitano faltete das Papier wieder zusammen und legte es in das Versteck zurück. Dann strich er sich mit sehr zufriedener Miene den Bart und meinte:
„So habe ich den Alten fest in der Hand, und sein Beutel wird bluten müssen.
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