42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Gott, ich scherze nicht! Señora Elvira, eilen Sie hinaus und rufen Sie die Dienerschaft herbei!“
Als sich die Kastellanin erhob, gebot ihr Alfonzo:
„Ihr bleibt! Wir brauchen keine Dienerschaft.“
Da aber antwortete die wackere Kastellanin mit großer Entschiedenheit:
„Ich habe meiner lieben Contezza zu gehorchen, nicht aber Euch!“
Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Der junge Graf wendete sich jetzt an die Engländerin, welche ihre Freundin bisher schweigend, aber mit blitzenden Augen beobachtet hatte.
„Ist ein solches Verhalten nicht wahrhaft kindisch, Miß Amy?“
Die Angeredete errötete vor Zorn und antwortete:
„Don Rodriganda, ich finde nichts wahrhaft Kindisches, sondern vielmehr viel wahrhaft Kindliches in dem mutigen Verhalten meiner wackeren Freundin, auf welche ich stolz bin. Sie verteidigt den kranken, beklagenswerten Vater gegen die Herzlosigkeit, die ihm gefährlich werden will. Übrigens habe ich Euch noch nie die Erlaubnis gegeben, mich bei meinem Taufnamen zu rufen. Für Euch bin ich nicht Miß Amy, sondern Señora Lindsay und werde es wohl auch für immer bleiben!“
„Ah!“ zischte er grimmig. „Sie vergessen, daß Sie hier nur Gast sind!“
„Nicht der Ihrige, Señor; das tröstet und beruhigt mich.“
„Von jetzt an aber doch der meinige. Ein Wahnsinniger steht unter Kuratel!“
In diesem Augenblick trat Elvira ein und meldete, daß die Dienerschaft sich im Vorzimmer befinde. Rosa wandte sich an Alfonzo:
„Nun, wirst du uns allein lassen, oder soll ich zeigen, wem man hier lieber gehorcht, dir oder mir?“
Er sah sich rücksichtslos in die Enge getrieben; er erkannte, daß er für den Augenblick sein Spiel aufgeben müsse, und antwortete daher mit Hohn:
„Der neue Graf de Rodriganda-Sevilla hat nicht notwendig, mit seinem Gesinde zu verhandeln; er wird sich auf anständige Weise Gehorsam verschaffen. Auf Wiedersehen!“
Er verließ das Gemach.
„Meine liebe Elvira, ich wünsche, daß die Leute jetzt nur mir gehorchen; das weitere müssen wir abwarten“, sagte jetzt die Gräfin mit Ruhe.
„Ich werde es den Leuten sogleich sagen“, erklärte die Kastellanin. „Gibt es sonst noch etwas?“
„Ja. Diese Zimmer bleiben verschlossen. Ich werde versuchen, den Vater zur Ruhe zu bringen. Schlaf und eine kalte Kompresse werden ihm wohltun.“
Während dies in Rodriganda geschah, ritt der Advokat auf der Straße nach Barcelona. Aber nicht lange, so bog er auf einen Fußweg ein. Dieser führte über Dörfer und Meierhöfe. Sternau war hier unbekannt; er hatte, gerade wie der Wagen, dessen Spur er folgte, die Straße einhalten müssen. Schlug nun der Advokat diesen Richtweg ein, so kam er dem Arzt um eine geraume Zeit zuvor und konnte sorgen, daß diesem nicht gelang, etwas zu erfahren.
Der Wagen war von dem Wirt zum Gasthaus ‚L'Hombre grand‘ geborgt worden. Zu diesem ritt der Advokat, als er in Barcelona angekommen war, und sagte ihm, daß er keine Auskunft geben solle, wenn er gefragt werde, an wen er den Wagen verliehen habe. Dann begab er sich nach dem Hafen, um Kapitän Landola aufzusuchen, den er an Bord anwesend fand.
„Ah, Señor Cortejo“, sagte dieser, ihn begrüßend. „Ich habe Euch nicht so bald erwartet, aber doch ist es mir lieb, daß Ihr kommt.“
„Warum?“
„Weil ich fertig bin und auch meine Papiere alle in Ordnung gebracht habe. Ich kann absegeln.“
„Das ist gut, sehr gut!“
„Sehr gut? Ich hoffe nicht, daß etwas Unangenehmes passiert ist!“
„Nein. Ich habe Euch nur zu sagen, daß man Euren Wagen bemerkt hat und auch vermutet, wen Ihr aufgeladen hattet. Es kommt in vielleicht einer Stunde einer nach Barcelona, der Eurer Fährte folgt.“
„Schön. Er mag in das Wasser springen und mir nachschwimmen. Habt Ihr Zeit zum endgültigen Abschluß?“
„Ja.“
„Nun, der ist in einer Viertelstunde beendet, und dann stechen wir sofort in See. Die Ebbe ist bereits eingetreten.“
„Und der Gefangene?“
„Befindet sich sehr wohl. Er liegt unten im Kielraum und hat bis jetzt weder sprechen noch essen oder trinken dürfen.“
„Ihr nehmt ihn also wirklich mit nach dem ostindischen Archipel?“
„Ich verkaufe ihn auf Borneo; dabei bleibt es. Kommt herab zur Kajüte, Señor!“
Eine halbe Stunde später befand sich Cortejo wieder an Land, und das Schiff ‚La Péndola‘ lichtete den Anker, um seine Reise anzutreten, eine Reise, auf welcher sich das Schicksal des armen Mariano entscheiden sollte.
VIERTES
Weitere Kostenlose Bücher