42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
ein. Sternau bezahlte außerdem die kleine Zeche und stand eben im Begriff aufzubrechen, als sich draußen eiliger Hufschlag vernehmen ließ. Sternau blickte hinaus und erkannte einen Reitknecht aus Rodriganda, welcher auf schweißbedecktem Pferd daher gesprengt kam und sofort anhielt, als er das Pferd erblickte, welches Sternau draußen angebunden hatte. Er sprang ab und kam herein.
„O welch ein Glück, daß ich Euch finde, Señor Doktor!“ rief er, als er den Arzt sah.
„Sie suchen mich?“ rief dieser erstaunt.
„Ja.“
„Weshalb?“
„Die gnädige Contezza sendet mich. Wir sind zu dreien ausgeritten und haben uns geteilt, um Euch ja nicht zu verfehlen.“
„Dann muß die Angelegenheit höchst wichtig sein.“
„Ja.“
„Was ist es?“
„Don Emanuel ist plötzlich sehr erkrankt.“
„Nicht möglich! Auf den Augen?“ fragte Sternau erschrocken.
„Nein.“
„Wie sonst?“
„Hier!“
Der Knecht deutete nach dem Kopf, so daß der Wirt es nicht bemerkte.
„Da? Nicht möglich, nicht möglich! Das muß ein Irrtum sein!“
„Es ist so. Señor!“
„Trinken Sie schnell ein Glas Wein, dann geht es nach Rodriganda zurück.“
Der Wirt brachte das Glas und meinte dabei:
„O Señor, ich bitte sehr um Verzeihung!“
„Weshalb?“
„Wegen dem ‚Teufel‘ vorhin!“
„Wieso?“
„Ich höre jetzt, daß Ihr der Señor Doktor seid, der den großen Stein herausgebohrt hat. Vorhin sagte ich, daß Ihr den Teufel hättet. Wollt Ihr mir verzeihen?“ fragte der Wirt kleinlaut.
„Gern“, lachte Sternau. „Nun aber fort.“
Als sie aufgestiegen waren und vom Wirt also nicht gehört werden konnten, fragte Sternau den Reitknecht nach den Einzelheiten. Er erfuhr da auch, daß der Advokat das Schloß zu Pferd verlassen habe. Da hielt er sein Pferd an und fragte:
„Können Sie auf Rodriganda entbehrt werden?“
„Jetzt? Ja.“
„Wollen Sie für mich einmal nach Barcelona reiten?“
„Sehr gern, Señor.“
„So reiten Sie! Sie sollen nämlich im Hafen nachsehen oder sich erkundigen, an welchem Tag das Kauffahrteischiff ‚La Péndola‘, Kapitän Henrico Landola, in See geht. Werden Sie dies erfahren können?“
„O sicher!“
„Aber Gasparino Cortejo kann auch in Barcelona sein, und er darf keineswegs erfahren, wonach Sie sich erkundigen sollen.“
„Keine Sorge, Señor!“
„So reiten Sie! Ich werde Sie gut belohnen, wenn Sie mir eine sichere Nachricht bringen.“
Der Reitknecht drehte sein Pferd um und ritt davon; der Arzt aber sprengte in gestrecktem Galopp auf Rodriganda zu.
Er legte die drei Wegstunden in kaum einer zurück. Als er vor der Rampe vor seinem Tier stand, kam der Kastellan in eigener Person herbei, um das Pferd in Empfang zu nehmen.
„O Señor, wie so etwas passieren kann!“ klagte er. „Verrückt, vollständig verrückt!“
„Es ist nicht glaublich!“
„Und doch ist es wahr; meine Elvira sagt es auch.“
„Wo befindet er sich?“
„In seinem Schlafzimmer. Die gnädige Contezza hat sich da eingeschlossen und läßt keinen Unberufenen eintreten! Graf Alfonzo erklärte sich bereits zum Herrn von Rodriganda und wollte einen Irrenarzt kommen lassen; sie aber hat es nicht zugegeben.“
Sternau nickte nur und eilte dann die Treppe empor. Vor der Vorzimmertür standen zwei Diener Wache, welche ihn sofort einließen. Als er leise in das Krankenzimmer trat, sah er den Grafen mit verbundenem Kopf im Bett liegen. An dem letzteren saß Rosa, in Tränen gebadet, und in ihrer Nähe die Engländerin, welche liebevoll an ihrem Schmerz Anteil nahm.
Als Rosa den Geliebten erblickte, erhob sie sich und warf sich stürmisch an seine Brust. Sie sagte kein Wort, aber er fühlte ihren Busen konvulsivisch wogen und ihre ganze Gestalt erzitterte unter dem Schmerz, den sie mit Gewalt zu beherrschen versuchte.
Sternau drückte sie an sich, küßte sie innig auf die Stirn und bat dann leise:
„Laß mich jetzt, mein Leben. Es ist jede Sekunde kostbar!“
„Ja, ach ja!“ antwortete sie, von ihm zurücktretend. „O Gott, Carlos, sage, ob er verloren ist!“
Er trat zu dem Kranken, und von diesem Augenblick an war sein Antlitz kalt, sein Auge nur scharf und forschend; er schien nur Arzt zu sein. Er nahm die Kompresse von der Stirn des Kranken, befühlte dessen Puls und ließ sich dann von den beiden Damen den Hergang erzählen, soweit sie ihn kannten. Dies geschah mit leiser Stimme, unterdessen aber bat der Graf immerfort:
„Tut mir nichts, ich weiß ja, wer ich
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