42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
bin. Ich bin – ich bin – ich bin der treue Alimpo!“
Nun untersuchte Sternau das Atmen und die Augen des Kranken, keine Bewegung, kein Kopfschütteln, kein Zucken seiner Mienen deutete die Gedanken an, welche er hatte. Dann trat er an das untere Ende des Bettes, so daß der Kranke ihn vollständig erkennen konnte, und fragte:
„Wer sind Sie?“
„Ich bin – bin – bin Alimpo“, antwortete der Graf nachdenklich.
„Das ist nicht wahr!“ sagte Sternau streng. „Besinnen Sie sich! Sie sind – Sie sind – nun?“
„Ich bin – bin – bin Alimpo!“ lautete in kläglichem Ton die Antwort.
„Schweig, Schurke! Du lügst!“ donnerte da der Arzt den Kranken mit der ganzen Macht seiner Stimme an. „Du bist nicht Alimpo! Gestehe, wer du bist!“
Dabei schlug Sternau drohend mit der Faust auf den Pfosten des Bettes, so daß das letztere krachte. Die beiden Damen waren erschrocken zusammengefahren; der Kranke versuchte, sich mit dem Kopf unter der Decke zu verbergen; Sternau jedoch zog ihm die letztere hinweg und gebot ihm nunmehr mit wahrhaft brüllender Stimme:
„Nun, wird's bald? Ich will wissen, wer du bist!“
„O Gott, o Gott, mir bricht das Herz!“ flüsterte Rosa.
Der Arzt machte ihr eine strenge, gebieterische Bewegung und ließ den Kranken nicht aus dem drohenden Auge. Dieser wandte sich herüber und hinüber und wimmerte endlich die Antwort:
„Tut, tut, tut mir nichts, denn ich bin ja wirklich der treue Alimpo!“
Erst jetzt wandte sich der Arzt wieder vom Bett ab und den beiden Damen zu:
„Verzeihung; ich konnte nicht anders! Bitte schnellstens Wasser, Tücher und Gefäße zum Aderlassen und Erbrechen.“
„Ist es gefährlich?“ fragte Rosa angstvoll.
Aber sie erhielt gar keine Antwort, sondern er schob sie rasch zur Seite und eilte hinaus.
„O mein Gott, es ist keine Rettung!“ hauchte sie. „Señor Carlos würde den Vater nicht so angedonnert und mich so zur Seite geschoben haben! Er will keine Sekunde versäumen, keine einzige; das ist der Beweis, daß keine Rettung ist.“
Und trotz ihrer Verzweiflung gab sie Befehl zum schleunigen Herbeischaffen des Nötigen, und als Sternau nach zwei Minuten wiederkehrte, lag bereits alles bereit. Er hatte eine kleine Hausapotheke, das Verbandzeug und mehreres andere geholt.
„Was hat der Graf heute genossen?“ fragte er.
„Eine einzige Tasse Schokolade“, antwortete Rosa.
„Nichts weiter?“
„Nein.“
„Wer hat diese Schokolade bereitet?“
„Ich selbst.“
„Wer brachte sie ihm?“
„Ein Diener.“
„Don Emanuel ist vergiftet worden!“
Er sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß die Gräfin in einen Sessel sank.
„Herr, mein Heiland!“ stöhnte sie.
„Und zwar mit dem Pohon Upas, dem fürchterlichsten der Gifte. Ich kenne seine Wirkung. Ich sollte Ihnen dies verschweigen; daß ich es Ihnen aufrichtig sage, mag Ihnen beweisen, daß ich noch Hoffnung habe. Besorgen Sie Diener her zum Aderlassen!“
Als der Graf die vielen Vorbereitungen um sich her erblickte, wurde er vor Angst still und ließ alles mit sich geschehen. Er erhielt zunächst ein Brechmittel, welches sofort wirkte, aber ihn sehr anstrengte, ohne den kleinsten Teil der genossenen Schokolade zurückzubringen.
„Ich dachte es“, sagte Sternau. „Es sind fünf Stunden seitdem Genuß des Getränkes vergangen.“
Hierauf ließ er den Patienten zur Ader, und zwar nahm er ihm das höchste Maß von Blut, bis zu welchem er nach den gegenwärtigen Umständen gehen konnte. Hierauf befahl er, einige Fliegen zu fangen. Als dies unter einiger Verwunderung über diese sonderbare Forderung geschehen war, tat er die Fliegen in ein kleines Glasgefäß, auf dessen Boden er von dem Blut des Grafen getröpfelt hatte. Er lud die Damen ein, die kleinen Tiere mit zu beobachten. Die Fliegen naschten von dem Blut, begannen zu beben und zu zittern, krümmten sich und starben.
„Ich habe mich nicht getäuscht, es ist Pohon Upas. Es gibt verschiedene Bereitungen und Zusammensetzungen dieses Giftes, und es kommt darauf an, das richtige Mittel zu treffen! In der Zusammensetzung, an welche ich jetzt denke und die ich auf Java kennenlernte, macht es, wenn man zwei bis drei Tropfen genießt, wahnsinnig, fünf bis sechs Tropfen aber geben den Tod. Der Graf hat wohl nur zwei Tropfen erhalten, und ich bin überzeugt, daß man beabsichtigte, ihn wahnsinnig zu machen.“
Diese Worte brachten einen allgemeinen Schreck hervor, und es dauerte lange, ehe sich die
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