43 Gründe, warum es AUS ist
in Als Küche, wo mein treuer Freund sich gerade die Hände an dem Geschirrtuch abwischte, das er sich wie immer in den Hosenbund geklemmt hatte, und so sah ich einfach auf seine Schuhe, schloss die Augen, so als lauschte ich verzückt der Musik, bis Al mich fragte, ob alles in Ordnung sei mit mir, und ich öffnete die Augen und strahlte strahlte strahlte ihn an, doch, natürlich, alles okay. Dann nahmen wir uns Teller und setzten uns, um den Film anzusehen.
Ein Mädchen lernt einen Jungen kennen, Ed, und alles verändert sich, sagt sie. Sie geht die Straße hinunter, und die Schaufenster der Läden sehen gleich aus, selbst dann noch, als wir schon lange auf die Spiegelbilder der flackernden Lichter geschaut haben. Autos fahren die Straße hinunter, schnell, langsam, schnell. Das Mädchen kauft sich einen Kaffee und sagt leise zu sich selbst, der Geschmack sei anders als sonst. Der Himmel sieht traurig aus, sagte sie, doch sie selbst ist nicht traurig. Es regnet, und sie trifft den Jungen wieder. Das Telefon läutet – es ist ein anderer Tag oder vielleicht auch derselbe, wer weiß das schon, denkt das Mädchen über ihrem Kaffee, wenn die ganze Welt eine andere ist? Sie holt sich wieder Kaffee, Autos fahren vorbei, spiegeln sich in den Fenstern. Die Welt, denkt sie, hat sich verändert.
»Min, ich kapier überhaupt nichts. Was soll das mit dem Schaufenster, das sie dauernd zeigen? Wann passiert denn endlich mal was?«
»Du magst den Film nicht«, sagte ich. »Wir müssen ihn nicht weitergucken.«
»Ich hab keine Meinung dazu.«
»Al.«
»Ich kapier ihn nur einfach nicht, das ist alles.«
» Cinéma du moment, nennt man das. Kino des Augenblicks. Dir gefällt der Film nicht.«
»Jetzt schieb’s nicht auf mich, Min. Dir gefällt er nicht, und du würdest gern ausmachen, aber du bist dir unsicher, bloß weil irgend so ein Buch, Wenn es dunkel …«
» Wenn die Lichter ausgehen. Aber das ist nicht der Grund, weswegen ich mir unsicher bin.«
»Dann aus demselben Grund wie ich. Seit vierzig Minuten sehen wir jetzt diesem französischen Mädchen zu, das durch die Straßen läuft und sich irgendwas denkt. Guck mal, jetzt kommen wieder die Autos. Bist du sicher, dass das der richtige Film ist?«
»Zwei Paar Schuhe.«
»Ich kapier ihn nicht.«
»Du magst ihn nicht.«
»Ich hab keine Meinung dazu.«
Ich machte ihn aus, diesen bescheuerten Film. So waren wir, Ed – Al und ich. Du hast das nie verstanden, und ich hab dir auch nie davon erzählt. Ein altes Ehepaar, hat seine Mom uns mal genannt und nur gelacht, als Al antwortete: »Du musst es ja wissen, Mamma.« Ich hab ihm zugesehen (auch das habe ich dir nie erzählt, Ed), wie er die Teller aufeinandergestellt, die Musik wieder angemacht und mir noch ein Glas von diesem Zitronenzeug gemacht hat. Gleich stand meine Frage wieder im Raum, die Luft knisterte vor Spannung, obwohl Al gar nichts davon wusste. Ich weiß selbst nicht, wo diese Frage plötzlich herkam. In diesen Broschüren, die sie uns ständig hinterherwerfen, steht immer, redet mit euren Eltern, mit einem Priester, mit einem Lehrer, zu dem ihr Vertrauen habt, oder einem Freund. Aber für mich ist niemand auf der Liste akzeptabel, Eltern sind Teil des Problems, ein Lehrer würde bloß sagen Es gibt Themen, über die darf ich nicht mit dir reden, und die meisten Freunde würden es sofort begeistert ihren anderen Freunden weitersagen, so wie ein Priester es an Gott weitertratscht. Das heißt, du bist allein, und es bleibt nur ein einziger Mensch, mein Freund Al, bei dem ich mein Problem abladen kann. Also lädst du es bei ihm ab, es ist unfair, ich weiß, und auch peinlich, aus keinem anderen Grund als dem, der dich überhaupt dazu bringt, diese Frage zu stellen, und so habe ich meinen Freund Al gefragt (blöd, ich weiß), ob ich ihn etwas fragen kann.
»Klar.« Dabei klapperten die Teller.
»Es ist ziemlich persönlich.«
Er stellte das Wasser ab und sah mich von der Tür aus an, das Geschirrtuch über der Schulter. »Okay.«
»Ich meine, es geht nicht um meine Periode oder darum, dass ich von meinen Eltern geschlagen würde, aber persönlich ist es schon.«
»Oje, ja, das ist echt hart, wenn deine Eltern dich schlagen und du gerade deine Periode hast.«
»Al.«
»Min.«
»Es geht um Sex.«
Im Haus wurde es still, so still wie in jedem Raum, sobald das Wort Sex fällt, sogar die Jazzmusiker beugten sich vor, in der Hoffnung, durch die Lautsprecher etwas zu erlauschen, während sie
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