43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas
höher. Ich habe hier viel zuwenig angerechnet.“
„Sie werden es aber doch gelten lassen müssen“, sagte der Schmied bestimmt.
„Wer will mich zwingen?“ fragte sie, indem sie sich drohend erhob.
„Ich, Madame!“ antwortete er ruhig.
„Und wie, wenn ich fragen darf?“
„Das will ich Ihnen erklären: Sie betreiben ein verbotenes oder – höchstens – sehr ungern geduldetes Gewerbe. Ein jedes Mädchen, das wünscht, Sie zu verlassen, steht unter dem Schutz der Polizei. Sie müssen ein jedes Mädchen trotz aller Schulden sofort entlassen. Ich nun aber will ehrlich sein und Sie bezahlen. Nehmen Sie das Geld nicht, so zwingen Sie mich, unter zwei Wegen denjenigen zu wählen, der mir der vorteilhafteste zu sein scheint.“
„Ah! Welche wären diese Wege?“
„Entweder lasse ich Ihre Rechnungen gerichtlich prüfen, und das würde nur von großem Nachteil für Sie sein, da die Herren vom Gericht manche Angabe streichen oder wenigstens reduzieren würden.“
„Und der andere Weg?“
„Ich zahle Ihnen gar nichts, nehme aber Mignon mit und stelle sie unter polizeilichen Schutz. Sie erhalten dann keinen Centime!“
Die Wirtin sah ein, daß er recht hatte, aber sie ergab sich doch noch nicht.
„Sie sind schlecht!“ rief sie grollend.
„Und Sie unklug.“
„Ich werde mich rächen. Ich werde Ihnen bei der Polizei zuvorkommen.“
„Womit?“ fragte er lächelnd.
„Ich werde verraten, daß Sie ein Garotteur sind.“
„Oh, Madame, das weiß die Polizei bereits sehr gut. Man wird sich freuen, daß ich im Begriff stehe, ein ehrlicher Mann zu werden und auch meine Geliebte zu einer ehrlichen, braven Frau zu machen. Nehmen Sie das Geld oder nicht?“
„Ich nehme es nicht“, trotzte sie.
„So stecke ich es wieder ein und nehme trotzdem Mignon mit!“
Er tat, als wolle er die Summe wieder einziehen, da aber griff sie schnell zu und strich das Geld in ihre Tasche.
„Halt!“ sagte sie. „Ich sehe, daß Sie keinen Verstand annehmen, und darum werde ich großmütig sein. Aber eines müssen Sie noch bezahlen. Der Marchese hat gestern seine Flasche Wein nicht bezahlt, die kostet zehn Franken.“
„Ich gebe fünf.“
„Zehn!“
„Gut, so gehen Sie selbst zu ihm. Mich geht das nichts an.“
„Gerard Mason, Sie haben keine Bildung!“ rief sie. „Wissen Sie nicht, wie man eine Dame behandelt?“
„Man gibt ihr, was sie verlangt, dennoch handle ich in diesem Fall aber lieber ohne Bildung.“
„Gut, so zahlen Sie fünf.“
„Hier sind sie. Mignon, packe ein.“
Gerard legte das Fünffrankenstück auf den Tisch, und das Mädchen ging, um seine Effekten in den Koffer zu legen.
„Wo werden Sie mit ihr hingehen?“ fragte ihn die Wirtin.
Er zuckte die Achseln.
„Das werde ich Ihnen nicht sagen“, antwortete er.
„Warum nicht?“
„Mignon geht von hier fort, und mit diesem Schritt hat sie mit der Vergangenheit gebrochen und ein neues Leben begonnen. Es sollen alle Fäden zerrissen sein.“
„So wird man sie niemals wiedersehen und Sie auch nicht?“
„Nein.“
„Dann sind sie ein Undankbarer, und ich werde Sie ganz und gar zu vergessen suchen!“
„Tun Sie das; ich bitte darum!“
Gerard ging, um eine Droschke zu holen. Als diese kam, war Mignon fertig. Sie luden den Koffer auf, stiegen ein und fuhren fort, ohne dem Haus der Sünde nur einen einzigen Blick zuzuwerfen. –
Es war am Nachmittag desselben Tages, als Alfonzo de Rodriganda, der sich hier Marchese d'Acrozza nannte, in seinem Zimmer saß und in banger Sorge an seine Brieftasche dachte. Da wurde ihm vom Kellner ein Schmied namens Gerard gemeldet.
„Lassen Sie ihn eintreten!“ sagte er schnell.
Der Garotteur kam herein und verbeugte sich sehr höflich.
„Ah, endlich!“ sagte Alfonzo. „Haben Sie geforscht und gefunden?“
„Das geht nicht so schnell, mein Herr. Diese Art Leute geht sehr vorsichtig zu Werke.“
„Also noch gar nichts?“
„Ich habe Gelegenheit gehabt, einem der Garotteure einen kleinen Dienst zu erweisen, und da er sich mir da zum Gegendienst verpflichtet fühlt und diese Leute einander alle kennen, so glaube ich, Hoffnungen zu haben –“
„Papperlapapp!“ unterbrach ihn der Graf. „Machen Sie mir nichts weis! Ich weiß genau, daß Sie selbst Garotteur sind.“
„Wirklich?“ fragte der Schmied. „Von wem wissen Sie es?“
„Von Ihrem Mädchen.“
„Schön, ich gebe es zu, Monsieur. Zugleich aber erkenne ich auch, daß man sich auf Sie nicht verlassen kann, denn Sie
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