44 - Die Intrige von Antares
hatte, wie so viele andere vor ihm, Arbeit und Reichtum in fremden Ländern gesucht.
Als ich mich wieder Lingurd zuwenden wollte, ertönte in der Schenke plötzlich ein gewaltiger Lärm. Rufe, Schreie und Waffengeklirr zeugten beredt von dem heißen Kampf, der in der Messinglilie ausgebrochen war. Frauen kreischten. Eine Flügeltür, die sich ein paar Schritt neben der Tür befand, die Lingurd und ich benutzt hatten, wurde plötzlich aufgestoßen. Eine Frau lief schreiend und mit wild fuchtelnden Armen ins Freie. Sie trat sich fast auf die verrutschten Unterröcke. Zwei Männer verfolgten sie; beide lachten und riefen spöttische Bemerkungen. Ein vergnügliches Beisammensein hatte plötzlich eine häßliche Wendung genommen.
Lingurd rief: »Dom – die Wache!«
Ich hörte es, ignorierte es aber. Ja, ich hätte es nicht tun sollen. Ich gebe in aller Offenheit zu, daß ich einen schweren Fehler beging. Das Gesicht der Frau war voller Blut, das im Licht der offenen Tür neben uns dunkel schimmerte. Wie hätte ich, Dray Prescot, Onker aller Onker, anders handeln können?
Ich sprang vor.
Die Frau sah mich und kreischte noch lauter. Offensichtlich hielt sie mich für einen weiteren Angreifer. Sie taumelte zur Seite, geriet ins Stolpern und stürzte gegen die Hofmauer. Die beiden Männer jubelten triumphierend auf, und ich lief auf die Frau zu.
Sie verschwand. In dem einen Augenblick war sie noch da, im nächsten hatte sie der Boden verschluckt.
Und da ich, Dray Prescot, seines Zeichens ein Dummkopf, meinen Lauf nicht mehr stoppen konnte, stürzte ich kopfüber in die offene Falltür des Kellers und landete auf dem harten Steinboden.
Dann gab es nur noch die schwarzen Schwingen Notor Zans, die mich in ihre finstere Umarmung zogen.
14
Vier der Gefangenen starben während der Nacht an ihren Verletzungen, und am Morgen schleiften die Kerkermeister ihre Leichen mit langen Eisenhaken aus der Zelle.
Viele von uns befanden sich in einem üblen Zustand, und die ganze Nacht über hatten die Aufseher gebrüllt, daß wir Abschaum aus der Gosse uns ruhig zu verhalten hätten. Dieser Ort hatte viel Ähnlichkeit mit einem unterirdischen Verlies; der geräumige Raum hatte eine tiefe, gewölbte Decke, die von vielen massiven Steinsäulen getragen wurde. Der Boden war mit einer dünnen, feuchten und ungezieferverseuchten Strohschicht bedeckt. Ich hatte eine Steinwand gefunden, an die ich den Rücken lehnen konnte. Ich schonte meinen Kopf, in dem nicht nur alle Glocken von Beng Kishi beharrlich Sturm läuteten, sondern auch Jen Jorahs Eispickel erbarmungslos in beide Schläfen stachen.
Ich wartete zusammen mit den anderen Schurken, Betrunkenen, kleinen Dieben und Schlägern, die man aus der Gosse der Gräben Oxoniums zusammengetrieben hatte, auf mein Urteil. Das würde von dem Adeligen verkündet, der zufällig mein Schicksal in seinen Händen hielt.
Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war Lingurds Ruf: »Dom – die Wache!«
Ich hatte ihre Bekanntschaft gemacht. Ein oder auch zwei blaue Flecken waren der Beweis dafür. Man hatte mir Waffen und Ausrüstung abgenommen. Der dunkelblaue Shamlak, den ich bekommen hatte, bestand glücklicherweise aus Baumwolle und nicht aus Seide. Dieser Teil Kregens ist berühmt für seine Seide. In dem Kerker waren nur wenig seidene Gewänder vertreten, und die waren so abgetragen, daß der fadenscheinige und verschlissene Stoff reif für den Abfall war. Es gab nichts, durch das ich mich von den etwa fünfzig armen Kerlen unterschied, die im Verlauf der Nacht verhaftet worden waren. Es waren mehr Tuniken als Shamlaks vertreten; das war es auch schon, wenn man einmal davon absah, daß viele der Männer anstelle von Kilts kurze Hosen trugen.
Sklaven mit gebrochenem Willen brachten uns eine Mahlzeit, die man mit viel bösartiger Phantasie als erstes Frühstück bezeichnen konnte. In einer mit Sprüngen versehenen Tonschale schwammen ein halbes Dutzend unidentifizierbarer Klumpen in einer fettigen Flüssigkeit; ein Brotkanten, den man nur mit einer Säge zerteilen hätte können, vervollständigte das Mahl. Doch man sollte immer alles von der guten Seite betrachten. Immerhin hatten wir zu essen bekommen, obwohl die Wache von Katakis befehligt wurde. In dem Kerker waren keine Frauen. Ich hielt mich abseits, pflegte die Blutergüsse und den schmerzenden Kopf und dachte darüber nach, wie sich ein Ausbruch am leichtesten bewerkstelligen ließ.
Nachdem die Tonschalen von den gehorsamen
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