44 - Die Intrige von Antares
Tempel half seiner Mutter beim Aufstehen und hielt einen ehrerbietigen Abstand zu ihr ein. Das Wieselgesicht schwitzte vor Erwartung. Wie bereits gesagt, sollte man ein Schwert nicht nach seinen Verzierungen bewerten; die Unterschiede traten hier mit schmerzlicher Deutlichkeit zutage.
Brannomar fuhr mit der Messerspitze um den Schwertgriff direkt unterhalb des Knaufes. Wie Naghan und ich bereits vermutet hatten, war der Gegenstand, der diese Edelleute in so heftige Aufregung versetzte, mit aller Wahrscheinlichkeit in dem hohlen Griff verborgen. Das Messer durchtrennte die Lederbänder. Brannomar schnitt mit Sorgfalt und Präzision, und seine Hände zitterten dabei nicht im geringsten. Mein Eindruck, daß es sich bei dem Kov trotz seines weißen Haares um einen harten Burschen handelte, wuchs von Minute zu Minute.
Der Knauf löste sich, fiel zu Boden und blieb irgendwo am Boden zwischen den sich zusammendrängenden Füßen stecken. Brannomar drehte das Schwert um und schüttelte es. Ein Stück Blei fiel heraus.
»Ah!« rief Lord Jazipur aus. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher.«
Der junge Bursche, gegen den ich eine sofortige, und wie ich zugeben muß, fast irrationale Abneigung gefaßt hatte, drängte sich näher heran. Dabei stieß er gegen Khonstanton.
Mak Khon zuckte zusammen. Sein Gesicht war zorngerötet. »Paß auf, Ortyg!«
»Du hast doch gar keine Chance, Kov!« fauchte Prinz Ortyg zurück. »Du solltest derjenige sein, der achtgibt!«
»Wir werden sehen, was uns Tolaar beschert, Prinz. Du tätest gut daran, das nicht zu vergessen.«
»Und du solltest lieber daran denken, welches Schicksal alle Verräter erwartet!«
Allein Opaz weiß, wie sich die Situation hätte entwickeln können. Brannomar schüttelte das Schwert. Jeder erwartete, daß etwas aus dem Griff rutschte, und ich vermutete, daß Khonstanton und Prinz Ortyg schon seit einiger Zeit gewußt hatten, worum es sich bei diesem Gegenstand handelte. Nandisha und der andere junge Prinz, bei dem es sich nur um Tom handeln konnte, hatten es erst kürzlich erfahren – vermutlich zu Beginn dieser nächtlichen Zusammenkunft.
Brannomar schüttelte das Schwert. Er schüttelte es mit aller Kraft. Vergeblich. Die Narbe auf seiner linken Wange hob sich weiß von der gebräunten Haut ab.
»Nun, Kov?« fragte Khon der Mak. Sein dichtes, blauschwarzes Haar bot einen auffallenden Kontrast zu dem blassen, entschlossenen und gebieterischen Gesicht.
Gewöhnliche Sterbliche dürfen nicht vergessen, daß es sich bei den in diesem Raum versammelten Leuten um hochrangige Adelige handelte, die allesamt über aufbrausende Charaktere verfügten und sofort mit Ungeduld reagierten, wenn nicht jeder noch so kleine Wunsch unverzüglich erfüllt wurde. Sie waren es gewohnt, ihren Willen zu bekommen. Und das traf für sie alle zu, ohne jede Ausnahme, wie ich durch frühere, unschöne Erfahrungen auf Kregen wußte.
»Laß mich mal ran«, stieß Ortyg hervor. Er griff nach dem Schwert.
Ich verzichtete auf ein bedauerndes, leises Seufzen, obwohl es mir durchaus zugestanden hätte. Das Ganze erinnerte an den Kampf eines bösartigen Leems gegen ein Zhantil.
»Ich bin durchaus in der Lage, das zu schaffen, vielen Dank, Prinz Ortyg«, sagte Brannomar leise. »Übertreib es nicht, Junge.«
Ortygs Gesicht und seine Erregung verrieten den auf Ruhm ausgerichteten Ehrgeiz, der ihn innerlich verzehrte. Doch er hatte genug Verstand, in diesem Moment den Mund zu halten.
»Diese von Dokerty unterwanderten Priester von Cymbaro«, wütete Khonstanton. »Sie haben uns hintergangen!«
»Im Gegenteil«, meldete sich Prinz Tom ruhig zu Wort; er hatte seine Gefühle fest unter Kontrolle. »Sie sind absolut vertrauenswürdig.«
»Wie du uns erzählt hast«, sagte Nandisha, »war der König derselben Meinung.«
»Der König war im Alter von zweihundertundfünfzig Perioden der Senilität verfallen!« fauchte Ortyg.
Brannomar würdigte ihn mit keiner Antwort, doch Khon der Mak benutzte die Gelegenheit, um Ortyg seine Anmaßung heimzuzahlen. »Der König lag halb im Sterben, als er diese dumme und sinnlose Scharade inszeniert hat. Doch dich hätte er noch immer vor dem Frühstück verschlingen und wieder ausspucken können!«
Das Gesicht des jungen Ortyg erinnerte an jene kleinen sich windenden Viecher, die in den Augenhöhlen der im Mausoleum von Trannimora aufgestapelten Totenschädel herumkriechen. Gab es denn trotz seines Erscheinungsbildes und seiner Art nicht wenigstens einen
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