44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
es bald erfahren, aber nur aus meinem eigenen Mund. Es bangt mir, es dir zu sagen, denn ich fürchte, dich dann doch noch zu verlieren. Aber glaube mir, der Grund liegt in dir und nicht in mir. Ich habe mich meiner Verhältnisse nicht zu schämen, ja, ich bin überzeugt, daß sie deinem Vater reichlich Veranlassung geben werden, seine Härte zu bereuen und sich mit dir auszusöhnen. Willst du?“
„Ja“, nickte er. „Du hast den Ausgestoßenen an dein reines Herz genommen, und ich werde nicht fragen, sondern ruhig warten, bis du selber sprichst. Aber wenn Sternau kommt, darf ich ihn zu euch senden?“
„Ja, sogleich. Wir treffen uns wie immer hier. Ich werde, wenn es mir möglich ist, niemals fehlen. Jetzt lebe wohl, mein Geliebter!“
„Lebe wohl, mein Engel, mein Trost, mein Glück, mein Ein und Alles auf der Erde!“
Eine lange, heiße Umarmung vereinte ihre Herzen, die warm aneinander schlugen, noch ein Kuß, noch einer und abermals einer, dann trennten sie sich. –
Flora schritt den Berg hinab, und Otto stand oben, um ihr nachzublicken, so lange er sie zu sehen vermochte, dann ging er nach der Stadt, direkt nach dem Telegraphenamt. Dort gab er seine an Frau Sternau gerichtete Frage auf, fügte seine Adresse bei und bat um sofortige Beantwortung. Sein Herz war zum Zerspringen voll, er fühlte ein Glück wie noch nie in seinem Leben. Er hielt die ganze Welt nicht für würdig, den Ausdruck der Seligkeit auf seinem Gesicht zu sehen. Er ging nach seinem Gasthaus und schloß sich in seinem Zimmer ein.
Dort öffnete er seine Mappe, nahm ein Blatt heraus und lehnte es auf dem Tisch gegen die Wand, so daß der Strahl des Lichtes voll darauf fiel. Es enthielt das sprechend ähnliche Porträt Floras. Das war ihr reiches Haar, ihre reine, hohe Stirn, die sanft gebogene Nase, das waren die großen, sprechenden Augen, das volle, lieblich geschweifte Lippenpaar, der schön aufgesetzte Hals, die volle, schwellende Büste.
Er trat mit verschlungenen Armen einen Schritt zurück, betrachtete das Bild mit strahlender Miene und sagte, als ob das Original vor ihm stände:
„Ja, so bist du, meine Flora! So habe ich dir im stillen einen Kultus gewidmet, ohne daß du es ahnen solltest, und nun bist du doch mehr als bloß im Geist mein geworden. Deine Liebe hat mich gefangen genommen, sie umweht mich wie ein magisches Fluidum, sie leuchtet in das Dunkel meines Lebens hinein, nicht ernst und düster wie ein Nordlicht, sondern warm, freundlich und erlösend wie der belebende Blick der Morgensonne. Du gibst mir meinen Gott, meinen Glauben und mein Vertrauen wieder, darum sollst auch du an mich glauben und mir vertrauen dürfen, trotzdem ich dich noch nicht kennen darf.“
Es war dem Glück ein braver Mensch zurückgewonnen. Die Liebe kommt von Gott, darum führt sie auch zu Gott. Sie ist die Tochter des Himmels, ohne welche unsere Erde ein Jammertal sein würde. –
Der Tag verging, es wurde Abend, ja, es wurde Nacht. Es war im Gasthaus still geworden, es hatte sich alles zur Ruhe begeben. Nur Otto wachte, er erwartete mit fieberhafter Ungeduld die Beantwortung seiner Anfrage. Die Minuten wurden ihm zu Stunden, da endlich, endlich läutete unten die Hausglocke. Der Portier öffnete, und gleich darauf trat der Bote des Telegraphenamtes ein.
Otto fertigte den Mann schnell ab und öffnete, als sich der Bote entfernt hatte, das Kuvert. Doch als er die wenigen Worte las, ließ er die Hand, welche die Depesche hielt, entmutigt sinken. Die Antwort lautete:
„Mein Sohn ist in England. Wo, weiß ich nicht. Kehrt erst nach langer Zeit zurück.“
Das war ein harter Schlag für den Maler, der gehofft hatte, in dem Freund einen Retter für den Vater der Geliebten zu finden. Es trieb ihn mit bangen Schritten im Zimmer auf und ab. Er konnte keine Ruhe finden und suchte erst mit dem grauenden Tag sein Lager auf.
Darum war es sehr spät, als er erwachte, sich erhob, Toilette machte, und in die Gaststube hinabging, um sich den Morgenkaffee geben zu lassen. Hier war nur ein einziger Gast zugegen, er trug Seemannskleider und saß vor einem großen Glas Rum. Als Otto ihn erblickte, traute er seinen Augen kaum.
„Ist's möglich!“ rief er. „Helmers, Steuermann Helmers! Sehe ich recht?“
Helmers erhob sich, ebenso überrascht, wie es der Sprecher war.
„Herr von Rodenstein“, rief er. „Herr Otto! Ja, ich bin es! Welch ein Zusammentreffen!“
Sie eilten aufeinander zu und schüttelten sich die Hände.
„Was tun Sie hier in
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