44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
ausgestoßenes Menschenkind, das kein Recht hat auf das Glück dieses Lebens.“
Da umfaßte sie in heißer Aufwallung ihrer Gefühle seine Hand und sprach: „Kein Recht, Señor? O doch, Sie sind nicht rechtlos. Ein jeder Mensch hat von Gott die Erlaubnis erhalten, glücklich zu sein. Fassen Sie getrost zu! Folgen Sie mutig der Stimme Ihres Herzens! Diese Stimme wird Sie ganz gewiß nicht täuschen!“
Er hielt ihre Hand fest und antwortete:
„Señorita, wissen Sie, was Sie sagen? Ahnen Sie, was ich tun müßte, um dieser Stimme zu gehorchen?“ Sie antwortete nicht, aber der vertrauensvolle Blick, mit dem ihr Auge in dem seinen ruhte, sagte ihm, daß sie nicht nur ahne, sondern wisse.
„Ich müßte Sie, ja Sie, Señorita, an mein Herz nehmen und nimmer davon lassen“, fuhr er fort. „Ich müßte Sie festhalten, damit meine Sonne nicht untergehe und meine Sterne mir nicht nur in der Erinnerung, sondern in der Nähe leuchten. Habe ich denn die Erlaubnis dazu, Señorita?“
Es traten ihr schwere Tränentropfen in die Augen; sie schlang, ihrer nicht mehr mächtig, die Arme um seinen Nacken und antwortete:
„Ja, du heißgeliebter Mann, du hast das Recht dazu, ich gebe es dir, denn ich bin dein, ich kann nicht anders!“
Da drückte er sie an sich, fest und innig, und im lauten Jubelton rief er:
„Herrgott, ich danke dir! Jetzt wird mein Leben hell, jetzt weicht der Alp von mir, der auf mir lastete, nicht zentner- sondern bergeschwer! Und meine Erlöserin bist du, du, die ich liebe mit jedem Gedanken meines Innern, für die ich tausend Leben geben würde, und die ich anbete, wie man zu einer Gottheit betet! Sage mir, du herrliches Wesen, wie ich dich nennen soll!“
„Flora!“ flüsterte sie erglühend.
„Flora, meine süße, herrliche Flora, hast du mich lieb, wirklich lieb?“ fragte er, sich zu ihr niederbeugend, in jenem unbeschreiblichen Ton, dessen nur die Liebe fähig ist.
„Sehr, o sehr!“ lispelte sie.
„Und du willst mein Eigen sein und bleiben, trotzdem der Vater mich verstieß?“
„Ich werde dir ihn und die ganze Welt ersetzen, mein –“
„Otto“, ergänzte er.
„Mein Otto!“
Sie blickte innig zu ihm auf, ihre Augen waren halb geschlossen, und ihre vollen Lippen schwollen ihm gewährend entgegen. Da legte er seinen Mund auf den ihren zu einem langen, langen, heißen Kuß. Sie tranken Seligkeit voneinander und hatten alles um sich her vergessen, bis ein lauter Kanonenschuß sie aus ihrem Entzücken erweckte. Sie blickten hinab nach der Bucht. Dort kräuselte sich noch das Rauchwölkchen des Pulverdampfes.
„Siehst du“, sagte Otto, „die Jacht hat die Bucht glücklich erreicht, sie hat einen braven Kapitän. Auch ich werde nun einen Hafen erreichen, und meine Liebe soll der Führer sein, der mich zu demselben leitet. Nur ihr will ich leben, nur ihr und dir ganz allein!“
„So hast du also keinen Menschen, dem du dich angeschlossen hättest?“
„Nein. Ich habe nicht nach Freunden gesucht. Und doch, einen habe ich, einen einzigen. Und dieser ist ein Freund im vollsten, edelsten und wahrsten Sinne des Wortes.“
„Wer ist es, mein Otto? Ich werde ihn auch lieben, aus Dankbarkeit dafür, daß er dein Freund gewesen ist.“
„Er heißt Karl Sternau. Wir lernten uns auf dem Gymnasium kennen. Sein Vater war Professor, starb aber bald. Dann ging Karl zur Universität, ich aber zur Kriegsschule, doch sahen wir uns noch weiter. Unsere Freundschaft hatte zur Folge, daß seine Mutter als Witwe zu meinem Vater gerufen wurde, um dessen Hauswesen vorzustehen. Er ist jetzt einer der berühmtesten Ärzte. Er hat fremde Erdteile bereist und sich mit wilden Tieren und Menschen herumgeschlagen, jetzt erkämpft er seine Siege mit dem Messer und der Lanzette. Er wird der berühmteste Operateur werden, davon bin ich überzeugt.“
„Weiß er, daß dein Vater sich von dir trennte?“
„Ja. Er befand sich damals in Algier, und ich schrieb es ihm. Als er zurückkehrte, konnte er nichts für mich tun, denn er wurde in Paris festgehalten, aber er schrieb seiner Mutter oft und bat sie, für mich zu wirken. Sie hat den Versuch gemacht, ist aber auf so furchtbaren Widerstand gestoßen, daß sie fliehen mußte. Mein Vater hat ein für allemal befohlen, mich nie mehr zu erwähnen. Wer es dennoch zu tun wagt, der wird augenblicklich fortgejagt. Ob Sternau sich noch in Paris befindet, das weiß ich nicht. Ich war jetzt längere Zeit in Ägypten und hielt mich weit oben bei den Nilkatarakten
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