44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
ebenbürtig. Auch sie erhob sich, legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte:
„Sie sind ein Mann, Señor; wollen Sie verzweifeln?“
„Sehe ich aus wie ein Verzweifelnder?“ fragte er mit einem stolzen, aber doch auch wehmütigen Lächeln.
„Nein. Ich wollte sagen zweifeln, anstatt verzweifeln. Sie dürfen sich nicht absondern. Es gibt kein Herz, das nicht ein anderes fände, und wenn Sie keinen Vater und –“
„Nein, ich habe keinen, obgleich er noch lebt“, unterbrach er sie in einem Ton, dem man einen tiefen Groll anzuhören vermochte.
„Keinen? Und doch lebt er?“ fragte sie. „Wie soll ich das verstehen?“
Er zuckte die Achseln, es war, als ob ein tiefer Zorn ihm die Lippen zusammenpressen wolle, aber er besiegte diese Regung, so daß seine nächsten Worte nur bitter erklangen:
„O, sehr einfach, Señorita: Ich bin der verlorene Sohn im Evangelium. Ich war dem Vater ungehorsam, und darum verstieß er mich. Er verbot mir sogar, seinen Namen zu tragen. Ich führe denjenigen meiner verstorbenen Mutter, die dies ihrem einzigen Kind verzeihen wird.“
Seine Augen füllten sich mit Tränen; es waren Mannestränen, die doppelt tief brennen. Kein fühlendes Weib bleibt dabei ungerührt.
„Verstoßen? Unmöglich!“ rief Flora. „Sie sind kein verlorener Sohn! Alles glaube ich Ihnen, nur dieses nicht! Eher nehme ich an, daß Sie einen Rabenvater besitzen! Was haben Sie getan, daß er Ihnen sogar den Namen genommen hat, der Ihr Eigentum ist, den Sie berechtigt sind, zu tragen?“
Es war nicht Neugierde, die ihr diese Frage diktierte, er wußte das, und darum antwortete er:
„Ich bin ein Deutscher. Mein Vater war Offizier und bekleidet jetzt die Stelle eines Oberförsters in Rheinswalden bei Mainz. Ich darf seinen Namen nicht führen, aber nennen kann ich Ihnen denselben, er heißt Kurt von Rodenstein. Er war ein heftiger, strenger Mann, ob jetzt noch, weiß ich nicht. Auch ich sollte Offizier werden. Ich besuchte die Kriegsschule. Da entwickelte sich während des Zeichenunterrichts mein Talent, das man mir bisher nicht zugemutet hatte, und meine Lehrer waren überzeugt, daß ich zum Maler geboren sei. Sie machten meinem Vater Vorstellungen, und ich vereinte meine Bitte mit ihren, er aber hörte nicht darauf. Ich mußte beim Mordhandwerk bleiben, und er drohte mir mit seinem Fluch, wenn ich nicht gehorsam sei. Ich gehorchte, bestand mein Examen und wurde Offizier. Ich tat meine Pflicht, aber während jeder freien Stunde saß ich an der Staffelei. Ich hätte es für eine Sünde gehalten, mein mir von Gott gegebenes Talent nicht auszubilden. Lange Zeit wagte ich mich nicht an die Öffentlichkeit, endlich aber gab mir das Zureden meines Professors den Mut dazu. Ich fertigte ein Bild und bat den Vater, es zur Ausstellung senden zu dürfen; er verbot es mir. Da überredeten mich die Freunde, dies doch zu tun; sie glaubten, einer vollendeten Tatsache gegenüber werde der Vater nachgeben müssen; auch ich glaubte es, da alle Kenner überzeugt waren, daß ich mich meines Werkes nicht zu schämen haben werde. Lassen Sie mich kurz sein, Señorita. Ich sandte es ein, es wurde vom Komitee angekauft, und ich erhielt den ersten Preis, zu gleicher Zeit aber auch vom Vater einen Brief, in dem er mir verbot, die Heimat wieder zu betreten.“
„Mein Gott, wie hart, wie grausam!“ rief Flora.
„Ich richte ihn nicht, er ist mein Vater! Trotz seines Verbotes eilte ich zu ihm. Ich versprach, nie wieder ein Bild öffentlich auszustellen, aber alles half nichts; ich hatte in dieser, nach seiner Ansicht hochwichtigen Angelegenheit seinem Befehl entgegengehandelt, ich hatte meinen Offizierscharakter, meine Ehre verleugnet und war unter das Volk der Künstler getreten, ich war also seiner nicht mehr würdig. Er verbot mir abermals sein Haus, verbot mir, seinen Namen zu tragen, und als ich nicht sogleich ging, ließ er mich durch seine Diener vor das Tor führen. Da stand ich wie vom Schlag gerührt. Die Diener weinten, aber sie verschlossen das Tor, ich klopfte daran, erst leise bittend, dann laut im Grimm – es öffnete sich mir niemals wieder. Ich mußte gehen. Ich kam um meinen Abschied ein und erhielt ihn. Ich warf mich nun der Kunst ganz in die Arme, und sie war nicht so grausam gegen mich wie der Vater, sie schmückte mich mit Ruhm, sie brachte mir Gold und Unabhängigkeit, aber mein Herz blieb erschrocken, wie damals, als ich an der Tür des Vaterhauses stand, vergeblich wieder Einlaß begehrend, ein
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