Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

Titel: 44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
auf, wo eine Korrespondenz sehr erschwert ist.“
    „Ich möchte ihn wohl einmal sehen.“
    „Er ist ein herrlicher Mann, hoch und stolz gewachsen. Und wie sein Äußeres ist, so ist auch sein Inneres. Und ein sonderbares Spiel der Natur muß ich dabei erwähnen. Ihr beide seht nämlich einander ganz ähnlich. Das fiel mir sogleich auf, als ich dich zum ersten Mal erblickte, und diese Ähnlichkeit mit dem einzigen Freund, den ich habe, ist es wohl auch gewesen, die die erste Ursache war, daß ich nicht vor dir geflohen bin.“
    Sie standen Arm in Arm auf der Höhe und konnten die ganze Bucht überblicken. Sie sahen, daß die Jacht Anker warf, und gleich darauf gingen zwei Männer von Bord an das Land. Man konnte die Gesichter nicht erkennen, denn die beiden hatten sehr breitkrempige Hüte auf, aber die Gestalten waren deutlich sichtbar.
    „Schau den einen!“ sagte Otto zu Flora. „Gerade so eine hohe, stolze Gestalt wie er ist auch Sternau, auch sein Gang ist so sicher und elegant. Befände ich mich nicht in diesem abgelegenen Winkel der Erde, so würde ich behaupten, daß dieser Mann kein anderer sei als Sternau.“
    Er hatte recht, die beiden Männer waren Sternau und Helmers. Sie waren gekommen, um Kohlen einzunehmen, und gingen nach der Stadt, um den betreffenden Kauf abzuschließen. Otto von Rodenstein kannte natürlich auch den Steuermann, den jetzigen Kapitän der Jacht ‚Rosa‘, denn dieser wohnte ja in Rheinswalden. Aber die Entfernung zwischen den beiden Paaren war zu bedeutend, als daß ein Erkennen möglich gewesen wäre.
    Das unerforschliche Schicksal bereitete hier eine jener Begegnungen vor, die ganz unerwartet eintreten und doch für die Zukunft der Betreffenden von außerordentlichen Folgen sind.
    Die beiden Menschen saßen noch lange droben auf der Bank und flüsterten ganz glücklich sich jene Fragen, Antworten, Beteuerungen und Versicherungen zu, die für Liebende von hoher Bedeutung sind, während ein dritter darüber lächeln würde. Endlich entwand Flora sich den Armen des Geliebten und sagte:
    „Verzeihe, Otto, mein Zeit ist längst abgelaufen, und mein Vater wird mich mit Sehnsucht erwarten.“
    „Dein Vater ist hier?“ fragte er. „Nicht auch deine Mutter, mein Leben?“
    „Nein. Ich habe nur den Vater. Und“, fügte sie mit einer plötzlich hervorquellenden Träne hinzu, „ich werde ihn nicht lange mehr haben, vielleicht nur noch wenige Tage.“
    „Mein Gott, er ist krank?“ fragte Otto erschrocken.
    „Ja, sehr“, meinte sie. „Er ist zu Tode krank.“
    „Vermögen die Ärzte nichts zu tun?“
    „Gar nichts, denn er leidet an Schwindsucht, die unheilbar ist.“
    „An Auszehrung! Eine fürchterliche Krankheit, in der der Patient mit vollem Bewußtsein den Tod Schritt um Schritt sich nähern sieht. Wie bedaure ich ihn und dich, mein Herz! Wäre ich ein Arzt, so stellte ich mich an das Krankenbett, um mit dem Tod zu kämpfen mit allen Mitteln der Wissenschaft. Aber da fällt mir ein, wir sprachen von Sternau. Kann ein Mensch helfen, so ist er es. Ich werde sofort an seine Mutter schreiben und mir seine Adresse geben lassen. Nein, ich werde telegraphieren und ihn dann telegraphisch herbeirufen.“
    „Es ist zu spät, Otto! Ach, während ich hier an deinem Herzen die Wonnen der Liebe genoß, liegt mein Vater auf dem Sterbelager, und der Notar ist bei ihm, um das Testament aufzusetzen. Welch eine schlechte Tochter bin ich.“
    „Tröste dich! Auch die Liebe hat ihre unveräußerlichen Rechte, selbst in so ernsten Stunden. Ich werde aber jedenfalls telegraphieren, und zwar sogleich!“
    „Wird Sternau aber kommen?“
    „Sicher. Er wird alles im Stich lassen, um die Bitte des Freundes zu erfüllen. Ich eile. Aber, mein Herz, darf ich deine Wohnung wissen? Ich möchte in diesen trüben Stunden nicht von deiner Seite weichen.“
    „Ich danke dir, du Guter“, antwortete sie. „Wahrlich, ich bedarf des Trostes, und doch darf ich deinen Wunsch nicht erfüllen. Meine Wohnung sollst du wissen, sie ist im Haus des Schiffers Jean Foretier, aber deine Gegenwart ist dort noch nicht möglich.“
    „Warum nicht, Flora?“
    Sie blickte sinnend zur Erde, dann erhob sie das Auge zu ihm und fragte:
    „Hast du Vertrauen zu mir, Otto?“
    „Ja“, antwortete er mit einem Blick voller Aufrichtigkeit, „ich vertraue dir aus voller, ganzer Seele.“
    „So erfülle mir meine erste Bitte: Frage mich jetzt noch nicht, wer ich bin, erkundige dich auch nicht in der Stadt nach uns. Du sollst

Weitere Kostenlose Bücher