44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
an!“
Sie führte ihn zum Stuhl, auf dem er sich mechanisch niederließ. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sein Blick war verstört; aber sie schlang den Arm um ihn, legte ihm die Hand an die kalte Stirn und flüsterte ihm Worte in das Ohr, so innig, so zärtlich und liebevoll, daß der Ausdruck seines Auges klarer und milder wurde, und er endlich fragte:
„Du liebst mich wirklich, Flora?“
Das klang immer noch wie mechanisch, wie die Stimme eines Automaten.
„Ja, unendlich liebe ich dich, Otto!“ beteuerte sie.
„Eine Herzogin und – und ein verstoßener Sohn! O, warum hast du mir das getan! Wir dürfen uns nie, nie gehören! Du kennst die Pflichten deines hohen Standes, diese Pflichten, auf denen der Fluch so manchen gebrochenen Herzens ruht.“
„Was gehen mich diese Pflichten an! Mein Vater hat mich von ihnen entbunden. Er hat mir versprochen, meiner Liebe folgen zu dürfen, wenn der Bruder gefunden wird. Hier steht er; frage ihn selbst, Otto!“
Da kehrte ihm das Blut in die Wangen zurück. Er holte tief, tief Atem, als söge er mit demselben neue Lebenskraft ein. Dann stand er auf und trat auf den Herzog zu.
„Sie haben mich schwach gesehen“, sagte er, „verzeihen Sie mir. Es steht dem Mann nicht an, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen, aber denken Sie an das, was mein Herz bereits gelitten hat, ich möchte nicht noch Schlimmeres erdulden. Ist es wahr, was Flora sagte?“
„Ja“, antwortete der Herzog milde. „Kommen Sie her, mein lieber Herr von Rodenstein. Setzen Sie sich zu uns und lassen Sie sich alles erzählen, warum ein Vater seinen Sohn suchen muß. Dann werde ich sehen, ob Sie mit mir ins Gericht gehen wollen, oder ob ich auf Ihre Hilfe rechnen kann.“
Er zog, wie er es bereits Flora gegenüber getan hatte, den Schleier schonungslos von seiner Vergangenheit, und Otto hörte zu. Welche Gefühle drangen dabei auf den Maler ein! Er wurde bald warm und bald kalt; es war ihm, als ob er im Fieber liege. Da saß sie neben ihm, die Heißgeliebte. Er fühlte, daß es ohne sie weder Glück noch Heil für ihn geben könne. Konnte er von ihr lassen? Durfte und mußte er von ihr lassen? War es nicht Feigheit, zurückzutreten, wo es galt, ein solches Juwel festzuhalten und zu verteidigen gegen alle Vorurteile und Herkömmlichkeiten?
Jetzt hatte der Herzog geendet.
„Sie sind es“, sagte er zum Schluß, „der mir heute Licht in dieses Dunkel brachte, dem ich das Glück verdanke, das mir neue Kräfte gibt. Zweifeln Sie an meiner Dankbarkeit?“
„Nein, ein edler Mann ist immer dankbar“, antwortete Otto. „Aber nicht mir haben Sie zu danken, sondern dem Zufall oder Gottes Schickung. Und selbst dann, wenn ich Dankbarkeit zu beanspruchen hätte, würde das, was ich fordern würde, so köstlich, so hoch und wertvoll sein, daß –“
„Daß ich es Ihnen demnach nicht versagen würde“, unterbrach ihn Olsunna.
„Wie? Höre ich recht? Sie wollten –!“ rief Otto, einige Schritte auf den Herzog zutretend.
„Ja. Ich denke jetzt nicht an meinen Rang, sondern an das Glück meines Kindes. Sie sind Künstler. Der Adel der Kunst steht vielleicht noch höher als der Adel der Geburt. Es gibt Könige, Herzöge, Fürsten, Grafen und Ritter des Geistes. Nun wohl, Sie gehören diesem Adel an; Sie stehen nicht auf der niedersten Stufe desselben: Sie sind mir und meiner Tochter ebenbürtig. Sie sind ein reiner, edler Mann und haben unverschuldet viel gelitten. Flora, liebe ihn und mache ihn glücklich.“
Als wäre ein Blitz vor ihm niedergezuckt, so erstarrt stand Otto für einen Augenblick, dann aber stürzte er vor dem Herzog auf die Knie.
„Ist's wahr? Ist's wahr?“ fragte er. „Sie wollen mir das köstlichste Kleinod anvertrauen, das Sie besitzen; das Kleinod, das millionenmal mehr wert ist als Ihre Herzogskrone? O mein Gott, wo nehme ich die Worte her, Ihnen meinen Dank zu sagen!“
„Danken Sie nicht mit Worten, sondern mit der Tat. Machen Sie mein Kind glücklich, glücklicher als ihr Vater gewesen ist.“
Auch Flora war vor ihm niedergesunken, überwältigt von ihren Gefühlen. Sie lagen innig umschlungen vor ihm auf den Knien. Da legte er einem jeden von beiden eine seiner Hände auf das Haupt, erhob den Blick gen Himmel und sagte mit zitternder Stimme, aber innig flehendem Ton:
„Gott, Vater, der Du überall bist und auch jetzt bei uns, ich flehe Dich an aus der tiefsten Tiefe meines Vaterherzens, lege meine Schuld nicht auf die Meinigen. Laß
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