44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
ist der jetzige Besitzer von Rodriganda nicht mehr Graf Emanuel, sondern dessen Sohn Alfonzo.“
„Wirklich?“ rief der Herzog bestürzt. „So wäre Graf Emanuel gestorben? Wir haben längere Zeit im Ausland und überdies sehr abgeschieden gelebt; ich konnte also so rein private Ereignisse nicht verfolgen.“
„Man sagt allerdings, daß er gestorben sei, Sternau bezweifelt dies. Er reist doch eben deshalb, um den Grafen zu suchen, wie er mir erzählte.“
„Das verstehe ich nicht. Steht ihm die Familie des Grafen so nahe?“
„Freilich, lieber Vater! Der Graf ist sein Schwiegervater und Gräfin Rosa ist seine Frau.“
Jetzt war es an Flora und ihrem Vater, überrascht zu sein, jedoch auf freudige Weise.
„Gräfin Rosa, seine Frau!“ rief der Herzog.
„Meine gute, süße Rosa, meine Schwägerin!“ rief Flora.
„Freilich, freilich!“ lachte Otto, ganz entzückt darüber, daß er diesen zwei lieben Menschen eine so fröhliche Nachricht geben konnte. „O, Freund Karl hat keine Mesalliance getan; das fällt ihm gar nicht ein! Wir werden Rosa sehen, Sie wohnt jetzt ja in Rheinswalden, sie und Elvira mit ihrem Alim – Mein Gott, was ist das! Dieser Name –!“
Er war vom Stuhl emporgefahren und starrte verstört ins Leere.
„Was hast du?“ fragte Flora. „Du meinst wohl den Kastellan Alimpo, der immer spricht: Das sagt meine Elvira auch?“
„Ja, den meine ich. Ich kenne ihn nicht, aber Sternau hat mir von ihm erzählt. O, und an ihn dachte ich nicht. Gott, wäre es möglich!“
„Was denn?“ rief Flora fast angstvoll, als sie Ottos erschreckte Züge sah.
Er beantwortete diese Frage nicht, sondern wandte sich zu dem Herzog:
„Lieber Vater, du kennst den Grafen Emanuel?“
„Ja, sehr gut.“
„Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?“
„Vor zwei Jahren. Er ist blind geworden.“
„Er ist wieder sehend. Er war eben der Kranke, dessentwegen Sternau aus Paris geholt wurde; er hat ihn glücklich operiert, so daß er wieder sehen kann. Und du, Flora, kennst du den Grafen auch?“
„Ja, ich war ja bei ihm.“
„Würdet ihr ihn wiedererkennen, selbst wenn er durch eine abzehrende Krankheit erschreckend hager geworden wäre?“
„Ich hoffe es“, sagte der Herzog.
„Ich auch“, stimmte Flora bei. „Die Züge, die Graf Emanuel trägt, können sich nicht in der Weise verändern, daß man ihn nicht erkennen könnte. Warum fragst du so, Otto?“
Der junge Maler antwortete abermals nicht. Es war ein beinahe ungeheuerlicher Gedanke, der ihn in Anspruch nahm. Sternau hatte ihm seine Erlebnisse mitgeteilt und dabei auch den treuen Alimpo und seine Elvira erwähnt. Er hatte ferner im Laufe des Gespräches erwähnt, daß der wahnsinnig gewordene Graf Emanuel nichts gesprochen habe, als einige stereotype Worte; er habe sich für seinen Diener gehalten. Diese stereotype Redensart hatte Sternau leider aber nicht wörtlich angeführt.
Nun war Otto auf dem Leuchtturm gewesen und hatte den Wahnsinnigen gesehen und auch sprechen gehört. Das war ihm aufgefallen, aber er hatte die gehörten Worte in keinerlei Beziehung zu der Angelegenheit der Rodrigandas gebracht. Jetzt aber, da er von Sternau gesprochen hatte, war ihm plötzlich der Gedanke gekommen, ob der Wahnsinnige auf dem Leuchtturm nicht Graf Emanuel sein könne. Dieser Gedanke war, wie bereits gesagt, zwar ungeheuerlich, aber es war bisher so Außerordentliches geschehen, daß man alles für möglich halten konnte.
Er faßte einen Entschluß und trat an das kleine Schreibpult, das in dem Zimmer stand, nahm ein weißes Blatt Papier und schrieb darauf:
Dringendes Telegramm an Frau Doktor Sternau in Rheinswalden bei Mainz. „Welches sind die Worte, die Graf Emanuel immer wiederholte, als er wahnsinnig geworden war? Bitte um sofortige Rückantwort. Sehr eilig und wichtig. Meine Adresse weiß Frau Sternau.“
Er las diese Depesche den beiden vor.
„Was soll das bedeuten? Warum fragen Sie an?“ fragte der Herzog.
„Weil es möglich ist, daß ich den Grafen hier gesehen habe.“
„Hier? Es häufen sich immer mehr Rätsel. Der Graf ist wahnsinnig. Er soll hier sein!“
„Es ist möglich. Ich werde Ihnen sogleich alles erzählen.“
Otto klingelte und übergab dem Diener die Depesche zur schleunigen Besorgung. Dann fand er Zeit, alles zu erzählen, was Sternau ihm berichtet hatte. Man kann sich denken, mit welcher Spannung die Augen der beiden Zuhörer an seinen Lippen hingen. Wie sie stolz leuchteten, wenn er einen neuen Zug
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