45 - Waldröschen 04 - Verschollen
traten ein. Während der eine den Eingang wieder verschloß, fragte der andere mit halblauter Stimme, die Kurt bekannt vorzukommen schien:
„Es wird doch niemand im Garten sein?“
„Kein Mensch“, antwortete der zweite.
„Man wird uns nicht belauschen?“
„Ganz sicher nicht. Man glaubt, daß ich bis Mitternacht in Köln bin. In meinem Gartenhaus sucht man mich nicht. Kommen Sie!“
Derjenige, welcher jetzt sprach, war auf jeden Fall der Bankier. Wer aber war der andere? Sie schritten miteinander dem Gartenhäuschen zu, in dessen Inneren sie verschwanden, nachdem man das leise Klirren der Eisenstange und der Schlösser vernommen hatte.
„Kehren Sie einstweilen nach dem Gasthof zurück; ich komme nach!“ flüsterte Kurt dem Schlosser zu.
Dieser stieg behutsam über die Mauer; Kurt aber schlich sich unhörbar nach dem Häuschen hin, um womöglich das Gespräch der beiden zu belauschen. Es handelte sich hier auf jeden Fall um eine Heimlichkeit, um ein Unternehmen, welches das Licht zu scheuen hatte, und es konnte von großem Vorteil sein, etwas davon zu vernehmen.
Die Läden der Fenster schlossen so gut, daß nicht der feinste Lichtstrahl hindurchdringen konnte, und obgleich Kurt sein Ohr hart daran hielt, vernahm er doch nichts als ein leises Geflüster, welches fast gegen eine Stunde währte, von dem er aber doch nicht ein einziges Wort verstehen konnte. Die beiden Männer befanden sich in dem hinteren Zimmer, in welchem die Schwarzwälder Uhr hing. Endlich hörte der Lauscher das Rücken von Stühlen, und da er aus demselben schloß, daß die geheimnisvollen Personen jetzt aufbrechen würden, so eilte er an die Mauer zurück, um vielleicht doch noch etwas zu vernehmen, denn es ist nicht selten, daß man beim Abschied den Inhalt eines Gespräches ganz unwillkürlich noch einmal kurz rekapituliert.
Hart an dem Pförtchen stand ein Holunderbusch. Kurt kroch unter die Zweige desselben und legte sich zur Erde nieder. Kaum war dies geschehen, so kamen die beiden langsam herbei. An der Pforte blieben sie stehen, so daß Kurt sie hätte mit der Hand erlangen können. Er konnte jedes ihrer Worte verstehen.
„Also die Papiere liegen wirklich sicher bei Ihnen?“ fragte der Fremde.
„Ja, keine Sorge!“ antwortete der Bankier. „Es gibt in meinem Gartenhäuschen ein Versteck, welches kein Mensch finden wird; dort sind sie schon aufgehoben, bis der Bote kommt und sie abholt.“
„Also sagen Sie ihm, daß er nach Berlin eilen soll. Ich weiß bestimmt, daß dort heute ein Emissär Rußlands eingetroffen ist, welcher unter dem falschen Namen Helbitoff ihn dort erwarten wird. Mir war es unmöglich, länger dort zu bleiben. Ich mußte fliehen und habe seit gestern bemerkt, daß man mich scharf verfolgt. In welchem Gasthaus Helbitoff logieren wird, weiß ich nicht; die Fremdenliste wird es sagen; er hat einen Paß als Pelzhändler und trägt die Papiere im Futter seines Hutes bei sich. Was Sie mir zu sagen haben, schreiben Sie mir unter der Adresse des Grafen Rodriganda nach Spanien; ich werde längere Zeit bei ihm sein.“
„Ich werde es tun, denn ich halte es mit unserer alten Regierung und mag von Preußen nichts wissen. Aber wird man Wort halten?“
„Wird Preußen gestürzt, so erhebt sich ein neues Königreich Westfalen, dessen Finanzminister Sie werden. Man dürstet in Frankreich nach Rache für Sadowa. Napoleon suchte Österreich an sich zu ketten, indem er einen seiner Erzherzöge zum Kaiser von Mexiko machte. Und selbst wenn dies mißglückte, würde sich ein Grund finden lassen, mit dem übermütigen Preußen anzubinden. Vielleicht geben die spanischen Wirren einen Vorwand. Rußland wird so lange bearbeitet, bis es in ein Bündnis mit Frankreich gegen Preußen willigt. Vielleicht enthalten die geheimen Depeschen, welche dieser Helbitoff bei sich führt, bereits die Zustimmung. Ich hatte den Auftrag, die Stimmung der Mittelstaaten zu sondieren; da jedoch die Polizei auf meinen Fersen ist, muß ich mich schleunigst über die Grenze retten. Jetzt wissen Sie alles. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“
Mit diesen Worten schloß der Bankier das Pförtchen auf und ließ den andern hinaus. Dieser war kein anderer als der Seeräuber Landola, der falsche Kapitän Parkert. Welch ein Zusammentreffen! Sollte Kurt aufspringen und ihn festnehmen? Das Terrain war nicht zu einem Kampf geeignet. Landola befand sich bereits außerhalb der Mauer, und wenn es auch gelang, hinauszuspringen und ihn zu überwältigen, so
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