45 - Waldröschen 04 - Verschollen
hatten wir gar keine Ahnung“, antwortete die Tochter des Haziendero. „Erst nach Verlauf mehrerer Jahre gelang es Sternau, aus der Beobachtung der Sterne und anderer Verhältnisse, von denen ich nichts verstehe, zu berechnen, daß wir uns jedenfalls auf dem vierzigsten Grad südlicher Breite, und ungefähr dem zweiundzwanzigsten westlich von Ferro befänden. Er sagte, daß wir dreizehn Grad südlich von den Osterinseln wohnten, und daß wir diese sogar auf einem Floß erreichen könnten, wenn wir erst Holz genug hätten, um ein solches zu bauen.“
„Welches Unglück, so nahe der Rettung und doch so fern von derselben! Ihr hattet also keine Bäume?“
„Nein. Und selbst wenn wir welche gehabt hätten, so besaßen wir doch keine Instrumente, dieselben zu bearbeiten. Erst nach und nach gelang es uns, Stücke, welche wir aus Korallenriffen brachen, so zu schleifen, daß sie uns als Beile und Messer oder dergleichen dienen konnten. Wir nahmen den Sträuchern, welche wir vorfanden, die untersten Äste und zwangen sie dadurch, die Gestalt von Bäumen anzunehmen.“
„Aber wovon lebtet ihr?“
„Erst von Wurzeln, Früchten und Eiern. Später lernten wir Netze und Angeln zu fertigen, um Fische zu fangen. Wir fanden eine Art von Muscheln, welche wir wie Austern essen konnten, auch lernten wir, Pfeile und Bogen zu machen, mit denen wir Vögel erlegten. Eine Art von Kaninchen, welche in Masse auf der Insel lebten, züchteten wir förmlich, um sie als Kochfleisch und Braten zu genießen.“
„Kochfleisch und Braten? Ich denke, dieser Landola hat euch nicht einmal Feuerzeug gegeben?“
„O, Feuer hatten wir gar bald. Sternau hat viele Länder bereist, deren Bewohner mit zwei Stücken Holz oder mit verfaultem Holz Feuer zu machen verstehen. Wir mußten da aber sehr sparsam sein, da es notwendig war, das Material zu schonen.“
„Und wie stand es mit der Kleidung?“
„Die unsrige war auf dem Schiff sehr mitgenommen, diejenige der Männer sogar halb verfault. Wir mußten uns also mit Kaninchenfellen behelfen, welche wir vorzurichten lernten. Unsere Wohnungen waren sehr primitiv; Erdhütten mit Löchern als Fenster. Die Garçons aßen bei den beiden verheirateten Paaren. Sie waren da in Kost, wenn auch nicht in Logis.“
„Bei den verheirateten Paaren?“ fragte der Graf. „Ah, ich verstehe“, fügte er lächelnd hinzu. „Der brave ‚Bärenherz‘ hat Karja, die Tochter der Mixtekas, zur Frau genommen. Bei den Indianer bedarf es zu einer Heirat ja keiner Vorbereitungen. Aber wie stand es dann mit dem anderen Paar?“
Sie schwieg eine Weile. Wer hinter ihren Schleier zu blicken vermocht hätte, der hätte sehen können, daß eine tiefe Röte ihr Gesicht übergoß. Dann antwortete sie zögernd:
„O, gnädiger Herr, bedenkt unsere Lage! So einsam und ganz nur auf uns allein angewiesen, für viele, lange Jahre ohne Hoffnung auf Errettung! Wir hatten uns so lieb, ich und mein guter Antonio. Wir beschlossen, Mann und Weib zu werden, und die anderen gaben alle uns recht. Wir dachten immer, daß uns die Hand des Priesters ja doch noch segnen werde, wenn es uns glücken sollte, die Freiheit zu erlangen. Ob ich ihn und die Gefährten unseres Elends wiedersehen werde? Wie mögen sie erschrocken sein, als ich fort gegangen war und nicht zurückkehrte!“
„Eben wie du von der Insel fortgekommen bist, das zu wissen, bin ich begierig.“
„O, das war traurig, sehr traurig und fürchterlich, daß ich es gar nicht beschreiben kann, ja daß es mich noch graust und jammert, wenn ich daran denke.“
Ein tiefer, schwerer Seufzer hob ihre Brust, und er bemerkte trotz des Schleiers und des weiten Gewandes, daß die hohe, schöne Gestalt ein Zittern durchlief.
„Erzähle, Emma“, bat er. „Wenn dich auch schon die Erinnerung erschreckt, ich muß es ja dennoch erfahren. Das, was ich erlebt habe, wird nicht minder schrecklich sein.“
„Es war uns endlich gelungen, so starkes und langes Holz zu ziehen, daß wir daran denken konnten, ein Floß zu bauen. Es kostete uns Mühe, mit unseren schlechten Werkzeugen damit zu Stande zu kommen. Es war groß genug, um uns alle und auch die Vorräte aufzunehmen. Wir hatten es mit einem Steuer und mit einem Mast versehen und aus Kaninchenfellen ein Segel verfertigt. Es lag zur Abfahrt bereit am Ufer. Wir wollten es wagen, damit die Brandung zu durchschiffen, welche selbst bei ruhigem Wetter die Insel umtobt. Da, in der Nacht vor unserer Abfahrt, erweckte mich ein Heulen. Ich horchte
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