45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Freier!“
„Herr, eile nicht so sehr!“ bat Don Ferdinande. „Bedenke, daß ihr Herz an die ihrigen noch denkt, und daß sie erst heute dein Eigentum geworden ist. Habe noch einige Tage Geduld und laß sie erst zur Ruhe kommen. Je freundlicher du bist, desto leichter eroberst du ihr Herz. Frage sie selbst, so wird sie es dir sagen.“
Da wendete sich der Sultan abermals an Emma:
„Ist es wahr, daß du dies von mir wünschest?“
„Sei gnädig, dann liebt dich mein Herz“, lautete die letzte eingelernte Redensart.
„Sie liebt mich, sie will mich lieben!“ rief der Sultan. „Ich werde tun, um was sie mich bittet. Du aber sollst wohnen in einem Raum meines zweiten Palastes, den du nicht verlassen darfst, um stets da zu sein, wenn ich dich brauche!“
Er verließ die Schatzkammer. Der Eunuche zog sich zurück und der Sultan erteilte in Gegenwart des Grafen die Befehle, welche die Umquartierung desselben betrafen.
Don Ferdinande erhielt eine Stube des zweiten Palastes zur Wohnung. Freilich darf man sich unter diesem zweiten Palast nicht ein herrliches Bauwerk denken; er war weiter nichts als ein Nebenhaus des Hauptgebäudes, und in der Wohnung befand sich weiter nichts als eine Matte, welche als Sitz und Lagerstätte diente.
Daß der Sultan dem gestern so streng bestraften Sklaven heute gnädiger gesinnt sei, erfuhr derselbe, als ihm eine Pfeife und ein kleiner Vorrat von Tabak gebracht wurde. Es war dies für ihn ein Genuß, den er lange Jahre schwer entbehrt hatte.
Wie hatten sich seit gestern doch überhaupt die Verhältnisse so sehr geändert. Der Graf war von einer freudigen Hoffnung, ja Überzeugung durchdrungen, daß die Flucht gelingen und alles noch ein gutes Ende nehmen werde. Er ging sehr großen Gefahren entgegen, und doch fand sich nicht eine Spur von Besorgnis in seinem Herzen.
Daß sein Glaube, Gott werde ihm beistehen, ein berechtigter sei, erfuhr er kurz vor Einbruch der Nacht. Um diese Zeit wurden vier der besten Kamele von der Weide hereingebracht und in einem Schuppen untergestellt, in welchem sich der beste Teil des herrschaftlichen Reit- und Packzeuges befand. Der Graf näherte sich dem Mann, welcher die Tiere gebracht hatte und fragte ihn:
„Warum bleiben die Tiere nicht auf der Weide?“
„Weil es der Sultan befohlen hat.“
„So wird er ausreiten?“
„Ja. Er reitet morgen am Vormittag mit seinem ältesten Weib zu ihrem Vater, wo sie einige Zeit lang bleiben wird. Ich habe zwei Reitsättel, eine Frauensänfte und einen Packsattel bereit zu halten.“
Dem Grafen war es, als ob ihm ein großes Geschenk gemacht worden sei. Zwei Reitsättel, das paßte gerade für ihn und den Gärtner; eine Frauensänfte, die war für Emma, und auf den Packsattel konnte man alles andere verladen. Es war klar, daß der Sultan seine erste Frau fortbrachte, um sich der neuen Sklavin ungestörter widmen zu können.
„Darf ich dir helfen?“ fragte Don Ferdinande den Treiber.
„Tue es. Ich bin müde und möchte bald schlafen gehen“, antwortete der Mann.
Nichts konnte dem Grafen lieber sein als dies. Er fütterte und tränkte die Kamele, und als der Treiber sich nach Einbruch der Finsternis entfernte, versprach er ihm noch dazu, während der Nacht bei den Kamelen zu schlafen, damit den Lieblingstieren des Sultans ja nichts zustoße. Eine Pfeife Tabak war die Belohnung für dieses scheinbar so großmütige Anerbieten.
Unterdessen stak der Gärtner Bernardo in seinem Loch und sehnte den Abend herbei. Als nach seiner Zeitberechnung derselbe herangekommen war, kletterte er an der Wand empor und warf den Stein herab. Dadurch entstand das Loch, welches hinüber zum Gefängnis des Grafen führte.
„Don Ferdinande!“ rief er halblaut.
Keine Antwort ertönte.
„Don Ferdinande!“ wiederholte er.
Es herrschte dieselbe Stille wie vorher.
„Gnädiger Herr! Señor! Don Ferdinande!“
Es ließ sich kein Laut hören.
„Mein Gott, was ist das?“ murmelte der Gärtner voller Angst. „Ist ihm etwas zugestoßen? Oder hat man ihn aus dem Loch herausgeholt? In beiden Fällen wäre es schlecht um mich bestellt, falls ihm draußen ein Unglück widerfahren wäre. Ich werde doch hinüber steigen, um mich zu überzeugen.“
Er warf noch einen Stein aus der Zwischenwand, um die Öffnung zu vergrößern, und stieg in die benachbarte Kellerzelle. Der Graf war nicht da. Der Suchende fand nur die toten Ratten am Boden.
„Er ist fort; man hat ihn geholt“, dachte der Gärtner. „Aber weshalb und
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