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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wagner hatte die arabischen Worte nicht verstanden, aber er brachte sie in Verbindung mit der Unterwürfigkeit seines Dieners und fragte diesen daher:
    „Warum kniest du nieder?“
    „Der Sultan hat es befohlen.“
    „Ah! Wer ist dein Herr?“
    „Du.“
    „Wem also hast du zu gehorchen?“
    „Dir.“
    „So befehle ich dir, aufzustehen.“
    „Der Sultan würde mich töten lassen!“
    „Pah! Vorher jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf. Steh auf! Wir anderen werden sitzend sprechen, du aber wirst vor uns stehen, das ist Ehrerbietung genug.“
    Der Dolmetscher erhob sich zwar, trat aber zagend einige Schritte zurück, damit ihn das Messer des Sultans nicht erreichen könne. Dieser blickte ihn flammenden Auges an, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, in welchem seine Waffen steckten, und fragte:
    „Hund, warum stehst du auf?“
    „Mein Herr hat es mir geboten.“
    „Der Ungläubige.“
    „Ja.“
    „Sofort kniest du nieder, sonst fährt dir meine Kugel durch den Kopf!“
    Der Dolmetscher sah zitternd auf den Deutschen. Dieser sah die drohende Haltung des Sultans und fragte den Ängstlichen:
    „Was sagte er?“
    „Er will mich erschießen, wenn ich nicht niederknie.“
    „So sage ihm, daß ihn meine Kugel eher treffen werde, als dich die seinige.“ Bei diesen Worten zog er den Revolver und richtete ihn nach dem Kopf des Sultans. Dieser erbleichte, ob vor Zorn, ob vor Schreck und Wut, das war nicht zu sagen.
    „Was meint dieser Ungläubige?“ fragte er.
    „Ehe du deine Pistole ziehst, hat dich seine Kugel getroffen.“
    Das Angesicht des Sultans nahm bei diesen Worten einen unbeschreiblichen Ausdruck an. So hatte noch keiner mit ihm zu sprechen gewagt! Aber die Haltung des Deutschen war eine so entschlossene, daß der Sultan doch die Hand vom Gürtel nahm und ihn nach einer kurzen Pause fragen ließ:
    „Warum widerstrebst du, daß dieser vor mir knie?“
    „Weil er mein Diener ist, nicht der deinige“, antwortete der Kapitän.
    „Weißt du, wer ich bin?“
    „Ich sollte zum Sultan von Härrär geführt werden.“
    „Nun, so siehe mich an, der bin ich.“
    Diese Worte wurden in einem Ton gesprochen, als ob der Sprecher erwarte, daß der Deutsche nun sofort vor Staunen und Demut niederfallen werde; aber dieser antwortete sehr ruhig:
    „Und weißt du, wer ich bin!“
    „Man hat mir den Befehlshaber eines Schiffes gemeldet, welcher es gewagt hat, diese Stadt zu beschießen.“
    „Nun, so siehe mich an, der bin ich!“
    Der Sultan sah den Deutschen wirklich an, und zwar mit einem Blick, in welchem sich ein nicht zu unterdrückendes Erstaunen aussprach. Einen so furchtlosen Mann, der ihm mit seinen eigenen Worten antwortete, hatte er noch nie vor sich gehabt.
    „So bist du Seemann, ich aber bin der Sultan eines großen Reiches!“ sagte er endlich, um dem Verwegenen doch zu erklären, wen er vor sich habe.
    „Dein Reich ist nicht sehr groß“, meinte der Deutsche gleichmütig. „Ich habe mit berühmteren Männern gesprochen, als du bist. Du bist ein Herr von Sklaven, rühmlicher aber ist es, der Herrscher von freien Männern zu sein. Ich verbiete meinem Diener, vor dir zu knien. Diesen Befehl mußt du respektieren, wenn du nicht haben willst, daß ich mir Achtung erzwinge!“
    Er setzte sich ganz bequem neben dem Sultan nieder und legte seine zwei Revolver vor sich hin, das war genug gesagt.
    Der Gouverneur hatte bis jetzt neben ihm gestanden. Er hätte es nie gewagt, sich so ohne besondere Aufforderung so nahe zu dem Tyrannen zu setzen. Jetzt nun fühlte er sich durch das Beispiel des Deutschen ermutigt, so daß er sich auch niederließ, doch in einiger Entfernung von den beiden.
    Der Sultan schien vor Erstaunen die Sprache verloren zu haben. Er wußte offenbar nicht, wie er sich bei dieser Szene verhalten solle. Der Deutsche imponierte ihm; besonders beängstigten ihn die beiden Revolver desselben. Ein Mann, der eine ganze Stadt so furchtlos bombardiert, der ist auch imstande, einen Nachbar, der ihm nicht gefällt, niederzuschießen. Er rückte unwillkürlich von ihm weg und sagte:
    „Wärest du ein Härrär, so ließe ich dich erdolchen.“
    „Und wärst du in unserem Reich, so hättest du längst den Kopf verloren“, sagte Wagner. „Im Abendland pflegt man nämlich den Sultanen, wenn sie dem Volk nicht gefallen, den Kopf abzuschlagen.“
    Der Herrscher riß den Mund auf. Seine Augen öffneten sich so weit, als ob er bereits an den Stufen der Guillotine stehe.
    „Warst du auch dabei?“

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