45 - Waldröschen 04 - Verschollen
ersteren, welche in ihren Kähnen noch immer in der Nähe hielten, wunderten sich nicht wenig, als sie den Feind, den sie hatten vernichten wollen, so ganz ohne Furcht und ohne alle schützende Begleitung mitten unter sich erblickten. Sie sagten aber nichts und folgten in ihren Fahrzeugen nach der Stadt.
Dort stand vor dem Nordtor der Tragsessel, in welchem der Gouverneur herbeigekommen war, er verschmähte jedoch einzusteigen, um seinen Gast nicht zu beleidigen, und ging darum zu Fuß mit ihm durch die schlechten, unansehnlichen Gassen der Stadt.
Überall standen Leute, welche den Fremden mit finsteren Blicken betrachteten. Sie sahen an seiner reichen Kleidung, daß er der Befehlshaber des Fahrzeuges sei, welches eine ihrer sechs Moscheen zertrümmert hatte, und wünschten ihn dafür zur Hölle.
Als sie das Gebäude erreichten, in welchem der Gouverneur wohnte, sah der Kapitän erst deutlich, welche Wirkung seine Kugeln gehabt hatten. Nur das Erdgeschoß war gut erhalten. Sie traten in dasselbe ein, und der Araber führte den Deutschen nach einem Zimmer, in welchem sich neben einigen Teppichen auch ein Ding befand, welches einem Stuhl ähnlich sah. Darauf mußte sich Wagner setzen.
Auf Befehl des Herrn wurden Pfeifen und Kaffee gebracht. Der Gouverneur schien sich zunächst dem gemächlichen Genuß dieser Dinge hingeben zu wollen, doch der Kapitän warnte ihn, indem er fragte:
„Wann werde ich den Sultan sprechen können?“
Der Dolmetscher, welcher diese Frage übersetzte, saß auf einer Bastmatte und hatte auch eine Pfeife nebst Kaffee erhalten.
„Nachdem wir uns ausgeruht haben, wenn es ihm beliebt.“
„Ah, also wenn es ihm beliebt? So wünsche ich, daß es ihm recht bald beliebt, sonst könntest du es bereuen.“
„Warum?“
„Weil meine Leute wieder auf die Stadt schießen und unsere Gefangenen aufhängen werden, wenn ich nicht bald zurückkehre.“
Das wirkte auf der Stelle. Der Gouverneur sprang erschrocken von seinem Teppich auf, blickte nach oben, ob da vielleicht die Kugeln hereinplatzten, und sagte:
„In deinem Land muß es sehr entschlossene und vorsichtige Männer geben! Gedulde dich ein wenig. Ich werde zum Sultan gehen und ihm von dir erzählen.“
Er entfernte sich. Der Dolmetscher setzte seine Tasse an die Lippen, leerte sie, blickte den Deutschen mit bewunderndem Kopfschütteln an und sagte:
„So ein Mann ist mir noch nicht vorgekommen!“
„Wie dieser Gouverneur?“
„Nein, sondern wie du.“
„Warum?“
„Weißt du nicht, daß du dich in der Höhle des Löwen befindest, und daß die ganze Bevölkerung von Zeyla über deinen Tod erfreut sein würde, weil du eines ihrer Heiligtümer geschändet hast!“
„Dieser Löwe sieht mir nicht sehr gefährlich aus!“
„Du hast es verstanden, ihn zu zähmen, aber seine Wildheit kann an jedem Augenblick erwachen. Und der Sultan von Härrär ist ein Tiger.“
„So werde ich mich in einigen Minuten in einer bedeutenden Menagerie befinden: Der Gouverneur ein Löwe, der Sultan ein Tiger und du ein Hase!“
„Ich darf nicht über deinen Spott zürnen, denn du bist jetzt mein Gebieter, weil du mich bezahlst, aber auch mein Leben befindet sich in Gefahr. Das Schicksal, welches dich betrifft, habe ich als dein Dolmetscher zu teilen.“
„Nun, so sei froh. Du schwebst in keinerlei Gefahr.“
Sie wurden von einem Schwarzen bedient, der ihre Tassen füllte und ihnen neue Pfeifen reichte, bis der Gouverneur zurückkehrte.
„Komm“, sagte dieser, „der Sultan erwartet dich.“
„Was hat er beschlossen?“
„Er will dich erst sehen.“
Der Kapitän sagte sich, daß der Sultan ein sehr vorsichtiger Mann sein müsse, und ebenso erkannte er, daß es jetzt darauf ankam, einen vorteilhaften Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte zwar keine Furcht, aber es war doch eine Art von Beklemmung, mit welcher er jetzt dem Gouverneur folgte.
Sie traten in ein größeres Zimmer. Der hintere Teil der Diele desselben war erhöht und mit kostbaren Teppichen besetzt. Darauf saß der Sultan, aus einer langrohrigen Wasserpfeife rauchend. Er warf einen langen, forschenden Blick auf den Kapitän und wendete sich dann an den Dolmetscher:
„Knie nieder, Sklave, wenn ich mit dir spreche.“
Er war es in Härrär gewöhnt, daß seine Untertanen liegend mit ihm sprachen und hielt es für eine ganz besondere Gunst, wenn er dem Mann erlaube, nur kniend und nicht auf dem Bauche liegend, mit ihm zu reden.
Der Dolmetscher gehorchte und kniete nieder.
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