45 - Waldröschen 04 - Verschollen
möglich, ja sogar wirklich. Dieser Bogen hat einem Soldaten des Gouverneurs von Zeyla gehört; ich kann ihn nicht sehen, aber ich kenne die Form dieser Waffen. O, mein Sohn, mein Sohn, du bist verloren, aber ich werde dich rächen!“
Er war nur mit Mühe zum Schweigen zu bringen. Man beschloß, die Stelle bei Tagesanbruch noch einmal zu untersuchen, dann kehrte man mit den Tieren nach dem Versteck zurück, wo Emma heftig über das, was sie erfuhr, erschrak.
Die Nacht wurde schlaflos zugebracht, und bei Tagesgrauen begaben sich alle, selbst Emma mit, nach der Quelle. Das Erste, was ihnen in die Augen fiel, war ein Stück Zeug. Der Somali hob es auf und betrachtete es genau.
„Seht, daß ich recht habe!“ sagte er. „Es ist der Zipfel eines Gewandes und zwar vom Gewand meines Sohnes. Er hat hier gekämpft; er hat mit ihnen gerungen, und dabei ist ihm dieses Stück losgerissen worden. Seht es euch selbst an!“
Auch die anderen betrachteten den Fetzen und mußten nun allerdings zugestehen, daß er recht hatte; sie kannten die Kleidung Murad Hamsadis zu genau, als daß ein Irrtum hätte stattfinden können. Und als man dann noch Spuren von vergossenem Blut entdeckte, herrschte kein Zweifel mehr.
Der Jammer und der Grimm des Somali waren nicht zu beschreiben; er wollte sein Kamel besteigen und stracks nach Zeyla reiten. Nur sein Versprechen, unter allen Umständen fünf Tage zu warten, und die Vorstellung, daß sein Sohn ja noch lebe, da seine Leiche nicht hier gelegen habe, hielt ihn ab, diesen Vorsatz auszuführen.
So verging ein trüber Tag. Zuweilen wagte sich einer der Männer aus dem Versteck hinaus und auf den Berg hinauf, um Umschau zu halten, aber kein einziges Schiff war zu sehen, außer den Fahrzeugen des Gouverneurs, welche die Küste abzusuchen schienen, und die der Somali kannte.
„Seht ihr, daß wir verraten sind!“ sagte er. „Der Gouverneur läßt bereits nach uns suchen. Laßt euch nicht bemerken, sonst sind wir verloren.“
Der Tag verging. Es war derselbe, an welchem Kapitän Wagner auf seiner Brigg nach Zeyla gekommen war. Auch die Nacht kam und verschwand, ohne daß etwas passiert wäre. Noch drei so lange Tage untätig auszuharren, schien dem Somali unmöglich. Die Sorge um seinen Sohn verzehrte ihn fast.
Er stieg am Nachmittag wieder den Berg hinan und setzte sich da nieder, um den Blick verlangend über die See schweifen zu lassen. Er sah nur das Meer und die Wogen, welche seinem Innern glichen, aber nicht den Reitertrupp, welcher sich von Norden her näherte und ihn bereits gesehen hatte. Die Reiter hielten sich mehr rechts in das Land hinein, um ihm nicht so leicht in das Auge zu kommen. Sie waren schon ziemlich nahe, als er sich zufälligerweise umdrehte und sie sah.
Sofort erhob er sich und rannte den Berg herab; sie aber setzten auch ihre Pferde in Galopp und erreichten den Fuß des Berges fast zu gleicher Zeit mit ihm. Es war ein Somali, das sahen sie an der Tracht seines Haares, und schon glaubten sie, ihn sicher zu haben, als er plötzlich vor ihren Augen verschwand, als ob ihn die Erde verschlungen hätte.
Er war in dem Versteck verschwunden, wo er den Gefährten zurief:
„Rüstet euch zum Kampf, es kommen acht Reiter des Gouverneurs.“
„Sie werden vorüber reiten“, sagte Don Ferdinande.
„Nein. Sie haben mich überrascht; ich konnte nicht schnell genug sein, und so müssen sie bemerkt haben, wo ich hingekommen bin.“
„So gilt es, unser Leben, unsere Freiheit und das Geheimnis unseres Versteckes zu bewahren. Sie müssen aber sterben, wenn sie letzteres finden.“
Er erhob sich vom Boden, auf welchem er gesessen hatte, und nahm seine Waffen zur Hand, Bernardo tat desgleichen, und auch der Somali bewaffnete sich vollständiger, als er es vorher gewesen war.
Da hörten sie draußen vor dem Eingang Stimmen.
„Hier ist er verschwunden“, sagte jemand. „Ich habe es ganz deutlich gesehen.“
„Wie kann er in die Erde hinein verschwinden“, klang eine andere Stimme, „das ist ja ganz unmöglich!“
„Kann die Erde hier nicht ein Loch oder eine Höhle haben? Kommt, laßt uns suchen und auf den Boden klopfen, ob es hohl klingt.“
Die Lauschenden hörten nun Fußgestampf vieler Männer, bis einer rief:
„Kommt hierher! Ich habe es. Hier hat es hohl geklungen, aber nicht der Boden, sondern die Seite des Berges. Hier muß eine Höhle sein. Laßt uns hineinstechen!“
Zwischen den jungen, mit Erde bedeckten Palmhölzern, welche die Tür bildeten, kam
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