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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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befinden mußte; da hörte er in ganz leisem Ton und zwar in englischer Sprache die Frage:
    „Sind Sie da, Kapitän?“
    Wer war das? Wer sprach hier englisch? Wer wußte hier, daß ein Kapitän kommen werde? Diese Fragen durchflogen den Kopf Wagners. Aber ehe er noch vermochte sich eine Antwort zu geben, klang es wieder leise:
    „Sie können Vertrauen haben! Ich bin der Posten, aber ein Freund des Gefangenen.“
    Jetzt entschloß sich der Kapitän, sich auch hören zu lassen.
    „Wer sind Sie?“ fragte er.
    „Ein Soldat des Gouverneurs. Ich bin ein Abessinier und habe in Aden gelernt, englisch zu sprechen. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätte ich heute in der Nacht mit dem Gefangenen die Flucht unternommen.“
    „So kann man sich auf Sie verlassen?“
    „Ja.“
    „Dann rasch! Wir graben ihn heraus!“
    Das Werk begann. Es kostete viel Mühe, mit den Spaten kein Geräusch zu verursachen; aber man brachte es dennoch fertig. Nach einer halben Stunde lag der Somali an der Erde. Stehen konnte er nicht, da er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er mußte getragen werden.
    „Sie gehen doch mit?“ fragte der Kapitän den Soldaten.
    „Natürlich, wenn Sie mich mitnehmen.“
    „Gern. Vorwärts!“
    Den kräftigen Matrosen war es jetzt ein leichtes, da sie keine Wache mehr zu fürchten hatten, den Gefangenen über die Mauer zu bringen. Drüben wurde er von zweien auf die Achseln genommen und dann ging es auf demselben Weg zurück, auf welchem sie gekommen waren.
    Erst als sie die Stadtmauern hinter sich hatten, fühlten sie sich in Sicherheit, und nun konnte sich der Kapitän bei dem Soldaten erkundigen.
    „Wie kommen Sie dazu, den Gefangenen befreien zu wollen?“
    „Weil es mir in Zeyla nicht gefällt, und weil er mich dauerte.“
    „Haben Sie bereits einmal bei ihm Wache gestanden?“
    „Ja gestern. Ich bin ein abessinischer Christ, und es tat mir leid, daß er so gequält wurde. Ich redete ihn an, so leise, daß es der andere Posten nicht hören konnte. Er erzählte mir alles und sagte, daß mich die Spanier sehr belohnen würden, wenn ich ihn befreien wolle. Heute nacht wäre ich mit ihm entflohen, aber da er nicht laufen kann, wäre die Flucht wohl verunglückt. Aber als ich vorhin die Wache betrat, erzählte er mir, daß ein Christ ihm einen Zettel gezeigt habe, auf welchem gestanden habe, daß er um Mitternacht hoffen soll. Ich ließ mir den Christen beschreiben, und da ich Sie am Tag gesehen hatte, so wußte ich, daß Sie es gewesen waren.“
    „Ah, das ist also die Erklärung! Sie können also mit ihm reden?“
    „Ja. Er spricht das Somali und das Arabische.“
    „Das ist prächtig! Ich muß mit ihm reden und darf doch meinen Dolmetscher nicht in das Geheimnis ziehen, da ich fürchte, daß er mich verraten würde. Da werde ich Sie brauchen. Doch jetzt wollen wir nicht reden, sondern laufen, damit wir an Bord kommen.“
    Sie legten die Strecke bis zur Uferstelle, an welcher das Boot lag, im Laufschritt zurück. Dort angekommen, stellte es sich heraus, daß der Somali bereits zu stehen vermochte. Die rüttelnde Bewegung seiner Träger hatte viel dazu beigetragen, sein stockendes Blut in Umlauf zu setzen. Man stieg ein und stieß vom Land. Unter den kräftigen, wenn auch unhörbaren Ruderschlägen wurde die Brigg in einer halben Stunde erreicht.
    Der Steuermann empfing die Kommenden an der Falltreppe.
    „Etwas passiert?“ fragte der Kapitän.
    „Nichts“, lautete die Antwort.
    „Wo ist der Dolmetscher?“
    „Er schläft. Er hat nichts bemerkt.“
    „Das ist gut. Schicke sogleich den Bootsmann mit dem kleinen Boot ab. Er mag den Passagieren sagen, daß ich sofort in See stechen muß!“
    „Du hast den Somali. Wollen wir sie nicht lieber in Zeyla lassen? Wir brauchen sie ja nicht und erschweren uns mit ihnen nur das Werk.“
    „Nein. Sie müssen bestraft werden.“
    Er ließ den Somali mit dem Abessinier nach der Kajüte bringen. Dort gab es ein Kämmerchen, in welchem sie versteckt werden konnten, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Dann war auf Deck alles so ruhig, als ob nichts geschehen sei; von unten aber hörte man die Ruderschläge des sich entfernenden Bootsmannes.
    Der Kapitän folgte den beiden in seine Kajüte nach, nachdem er dem Koch den Befehl gegeben hatte, Essen hinab zu bringen. Dies geschah aus Fürsorge für den befreiten Somali, welcher während seiner Gefangenschaft gewiß nur wenig oder vielleicht auch gar nichts genossen hatte. Er fand ihn mit dem Abessinier

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