45 - Waldröschen 04 - Verschollen
ein Speer zum Vorschein, und zugleich rief der Besitzer desselben:
„Ja, hier ist es. Mein Speer geht ohne Widerstand bis an den Riemen hinein!“
„Öffnen!“ befahl da Don Ferdinande. „Unser Leben gilt mehr als das ihrige.“
Der Somali stieß den Eingang auf, und die Soldaten prallten erschrocken zurück, als sie einen tiefen Schlund bemerkten, in dessen Vordergrund drei wohlbewaffnete Männer standen.
„Feuer!“ kommandierte der Mexikaner.
Sofort krachten die beiden Doppelgewehre jedes zweimal, auch der Somali drückte los, und das übrige taten die Revolver; die acht Verfolger waren tot, wenigstens schien es so. Als die Verteidiger des Versteckes hinaustraten, um die Gefallenen zu untersuchen, fanden sie, daß einer noch lebte. Die Kugel war ihm in die Brust gegangen, doch zeigte der Gesichtsausdruck, daß er nur noch Sekunden zu leben habe. Der Somali kniete zu ihm nieder und sagte:
„Ihr kamt von Zeyla? Rede die Wahrheit, denn du stehst an der Brücke des Todes, welche entweder in das Paradies, oder in die Hölle führt!“
„Ja“, lautete die leise Antwort.
„Ist gestern ein Somali gefangen worden?“
„Ja.“
„Wie hieß er?“
„Murad Hamsadi“, hauchte es leise.
„Wo ist er?“
„Wieder entkommen.“
„Wann?“
„Gestern abend. Wir sind ausgezogen, ihn zu suchen.“
Diese lange Antwort war zuviel für den Sterbenden; ein Blutstrom quoll aus seinem Mund, und dann war er tot. Der Somali aber rief:
„Er ist entkommen! Allah sei Dank! Er lebt, er ist frei, ich werde ihn wiedersehen. Dieser Tote hat mir die Kunde gebracht, er soll nicht ohne Gebet eines Gläubigen den Weg des Todes gehen.“
Er kniete neben der Leiche nieder und betete; dann trug er einen Toten nach dem anderen nach dem Meer und warf sie in die Fluten. Die Pferde waren, durch das laute Krachen der Salve erschreckt, davongerannt – das Geheimnis der Somali war gerettet worden.
Nun, da die Flüchtlinge wußten, daß ihr Bote nicht mehr gefangen sei, zog neue, frische Hoffnung in ihr Herz ein. Sie glaubten wieder fest an ihre Rettung und sahen ruhig die Nacht herankommen, die Nacht, welche ihnen Erlösung brachte, ohne daß sie es ahnten.
Kapitän Wagner war nämlich, wegen der Dunkelheit der Nacht, weit hinaus in die See gelaufen; erst am Morgen kehrte er zur Küste zurück. Ein widriger Wind hinderte ihn, rasch vorwärts zu kommen, und so mußte er mit Lavieren seine Zeit verschwenden, so daß er bei Eintritt der Dunkelheit den Elmas-Berg nur erst durch das Fernrohr sehen konnte.
Diese langsame Fahrt vermerkten der Sultan und der Gouverneur höchst übel. Sie hatten sich überhaupt diesen Kapitän Wagner ganz anders gedacht. Seit sie sich an Bord befanden, sprach er nur selten ein Wort zu ihnen, und dann geschah es in einem Ton, als ob sie seine Sklaven seien. Nach eingetretener Dunkelheit ging er langsam an ihrem Zelt vorüber; dies benutzte der Sultan und sagte zu ihm:
„Wenn das so fortgeht, werden wir niemand fangen. Wir haben heute die Küste nur für einige kurze Augenblicke gesehen. Wie willst du dein Wort halten?“
„Still!“ gebot ihm der Deutsche durch den Dolmetscher, der sich stets in ihrer Nähe befand. „Du bist nicht in Härrär, wo du tyrannisieren kannst. Ich habe dir mein Wort gegeben, die Flüchtlinge zu fangen, und ich werde es halten.“
„In welchem Ton redest du?“ brauste der Sultan auf.
Der Kapitän zuckte verächtlich die Achseln und wendete sich zum Koch, dem er ein Papier gab.
„Tue dieses Pulver in den Kaffee der Mohammedaner“, sagte er. „Sie und ihre Diener sollen einschlafen.“
Er hatte eine Schiffsapotheke an Bord, der er das Pulver entnommen hatte. Der Koch gehorchte, und eine Stunde später schliefen die Passagiere fest. Jetzt trat Wagner in die Kajüte, um noch einmal genau zu berechnen, wo er sich befand, und ging dann in das Kämmerchen, in welchem der Abessinier und der Somali waren.
„Es wird Zeit sein“, sagte er. „Wir nähern uns dem Berg, und er wird in einer Viertelstunde durch das Nachtrohr in Sicht sein. Macht euch fertig.“
„O Allah, wird sich mein Vater freuen!“ sagte der Somali.
„Brennen sie Licht in dem Versteck?“
„Ja, sie haben dünne Fackeln von Dattelfasern und wildem Wachs, welche wir während unseres Rittes gemacht haben.“
„So brauchen wir uns kein Licht mitzunehmen. Kommt!“
Er stieg mit ihnen auf das Verdeck, wo er zum Nachtrohr griff. Er beobachtete die Küste längere Zeit; dann trat er zum
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