45 - Waldröschen 04 - Verschollen
weder einer der Gentlemen noch eine der Ladies bekam einen Krankheitsfall. Das war nun eigentlich sonderbar, fiel aber den Seeleuten nicht auf. Sie saßen im Vorderdeck und erzählten. Der Steuermann stand hinten, liebäugelte mit den Sternen, und der Kapitän lag in der Kajüte und verschlief seinen Rausch.
Die Künstlergesellschaft saß zusammengerückt auf einem Segel und alle schienen zu schlafen. Da, es mochte zwei Stunden nach Mitternacht sein, machte der Direktor eine Bewegung.
„Es wird Zeit“, flüsterte er, „wir haben bereits die Breite von Guadalajara hinter uns.“
„Alle zugleich?“ fragte eine der Damen.
Aber trotzdem sie nur flüsterte, klang es doch nicht wie eine Frauenstimme.
„Ja“, antwortete der Direktor. „Seht die Wolke dort. Sie kommt näher. Sobald sie über dem Schiff steht, nimmt ein jeder seinen Mann. Das Messer gerade in das Herz und darin stecken lassen; das gibt keinen Tropfen Blut.“
Es vergingen noch einige Minuten, da hatte die Wolke die Höhe des Schiffes erreicht, und es wurde um einige Schatten dunkler als bisher.
„Auf! Vorwärts!“ flüsterte der Direktor.
Die Leute warfen auf einmal alles Weiße von sich ab, so daß die Kleidung vollständig schwarz war, und huschten wie die Schatten davon. Man hörte hier einen Seufzer und dort ein lautes atmen; dann war es still wie vorher.
Der Direktor war nach dem Hinterdeck geglitten. Dort stand der Steuermann, hatte sich nach hinten gewendet und schaute der vorübereilenden Wolke nach. Da fühlte er einen Druck auf das Herz; etwas Kaltes, Starres drang in dasselbe ein, er wollte rufen, brachte es aber nicht fertig. Er sank zu Boden, und in demselben Augenblick stand der Direktor am Steuer.
Er stieß einen leisen Pfiff aus, und sofort stand der Regisseur vor ihm.
„Wie steht es?“ fragte er diesen.
„Alles gut, Señor!“
„Nehmt das Steuer. Ich will zum Kapitän.“
„Was wird mit dem Jungen? Er schläft unten.“
„Können ihn nicht gebrauchen.“
„Schade. War so ein netter Frosch.“
So war über zwei weitere Menschenleben entschieden. Der Direktor ging nach der Kajüte. Sie war nicht verschlossen. Er öffnete und trat ein. Der Kapitän schlief. Der Mörder hob ganz ruhig die Decke auf, setzte die Spitze des Messers mit furchtbarer Genauigkeit auf das Herz und stieß zu. Er ließ das Messer stecken und trug den Kapitän auf das Deck.
Nach einigen Minuten brachte er auch die Leiche des Schiffsjungen.
Nun wurde im Ballastraum nach schweren Steinen gesucht; diese hing man den Leichen an die Füße und versenkte sie in das Meer.
„Vor Cap Lucas kreuzen wir“, sagte der Direktor zu seinem Regisseur, dann ging er in die Kajüte.
Dort studierte er mit der allergrößten Aufmerksamkeit die Schiffsbücher, Tabellen und alle Skripturen, welche er vorfand. Dies dauerte bis es Tag war; dann kehrte er auf das Deck zurück.
Ein Stoß in eine kleine, silberne Pfeife brachte alle Mann nach dem Hinterdeck.
„Der Spaß ist gelungen, Jungens“, sagte der Mann. „Nun soll ein Leben losgehen, um das euch ein König beneiden könnte. Zunächst müssen wir noch vorsichtig sein. Wir haben Fracht nach Guaymas. Dort ist das Schiff noch unbekannt und seine Bemannung auch. Wir behalten also die Namen, welche in dem Buch verzeichnet sind. Ich bin der Kapitän Wilkers.“
Er gab einem jeden seinen Namen und machte ihm mit seiner Rolle bekannt. Dann befahl er, nicht mehr zu kreuzen, sondern in den engen Meerbusen einzulaufen.
Die ‚Lady‘ war ein ausgezeichneter Segler, und am nächsten Tag lief sie in den Hafen von Guaymas ein.
Guaymas ist ein hübsches, freundliches Hafenstädtchen, welches zur mexikanischen Provinz Sonora gehört. Seine hübsche Umgebung wird von den Seeleuten fleißig auf Ausflügen genossen.
Kapitän Wilkers fragte nach seinen Obliegenheiten bei der Hafenpolizei und bei dem Kaufmann mit einer Unverfrorenheit, als ob er der rechtmäßige Eigentümer dieses Namens und des Schiffes sei. Dann gestattete er sich einige Tage des Genusses. Er war dies seinen Leuten schuldig, obgleich der Ort hier so nahe dem Schauplatz des Verbrechens ein gefährlicher genannt werden mußte.
Er machte an einem dieser Tage eine Landpartie und nahm seinen Steuermann dazu. Sie mieteten sich Maultiere und ritten in die Berge. Nachdem sie umhergestreift waren, kehrten sie gegen Abend zurück. Sie brachten noch einige Stunden in einer Kneipe zu und gingen dann nach dem Schiff. Unterwegs kam ihnen eine männliche Gestalt
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