45 - Waldröschen 04 - Verschollen
dabei, und so schoß ich sie nieder.“
„Das ist klar“, nickte der Oberrichter. „Sie wollte Euch nicht, und so schoßt Ihr sie nieder. Ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen. Eure Zigarette ist alle, Señor. Darf ich Euch eine von den meinigen anbieten?“
Er schenkte dem anderen eine Zigarette, welche dieser sich anbrannte, und fuhr dann fort:
„Der Vater der Dame hat Euch leider angezeigt, und so müssen wir über die Sache reden. Ihr sagt also, daß Ihr sie wirklich erschossen habt!“
„Allerdings.“
„Nun, so werden wir gleich fertig sein. Auf Mord steht Todesstrafe; ich werde Euch also auch erschießen lassen. Ist Euch dies recht so, Señor?“
Der andere machte doch etwas andere Augen. Er hatte an die Möglichkeit dieses Urteils gar nicht gedacht, da Juarez die Untersuchung, welche fast eine freundschaftliche Unterhaltung zu nennen war, in dieser freundlichen Weise geführt hatte.
„Aber, Euer Gnaden, ich denke doch –“
„Pst!“ unterbrach ihn Juarez. „Unter Männern macht man nicht viele Worte bei einer so einfachen, klarliegenden Sache. Ihr habt sie erschossen und werdet wieder erschossen, ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen, das sagte ich bereits vorhin. Wollt Ihr mir ein wenig Feuer geben? Das meinige ist ausgegangen.“
Juarez brannte seine Zigarette an derjenigen des Mörders an, steckte dann den Finger in den Mund und stieß zwei schrille Pfiffe aus. Sofort erschienen zwei Alguazas (Polizisten).
„Gebt mir ein Stück Papier und taucht die Feder ein!“ gebot er.
Die Männer kamen der Aufforderung nach, der Oberrichter legte das Papier auf sein Knie, schrieb einige Worte darauf und reichte es dem Mörder hin.
„Hier, Señor, lest! Das ist Euer Urteil. Es ist Euch doch recht, daß ich Euch sogleich erschießen lasse?“
Der Mann erhob sich bleich aus der Hängematte und sagte:
„Euer Gnaden, ich muß denn doch bitten –“
„Pst!“ unterbrach ihn Juarez mit einem Lächeln voll Nachsicht und Gefälligkeit. „Ihr habt vorhin geklagt, daß Ihr volle drei Wochen wartet, ich habe Euch also eine Genugtuung zu geben. Man muß immer möglichst gefällig sein! Also sofort, Señor. Brennt Eure Zigarette noch?“
„Ja, ich danke!“ stotterte der Mann.
„Schön! Es gibt nichts Unangenehmeres, als wenn einem bei einer wichtigen Angelegenheit die Zigarette ausgeht. Es kann das fälschlicher Weise leicht für einen Mangel an Selbstzufriedenheit und Behaglichkeit genommen werden. Und das muß man vermeiden. Verzeiht nur, Señor, daß ich leider nun nicht länger Zeit habe. Adiós!“
Er machte dem Mann eine höfliche Verbeugung, dieser erwiderte sie und verschwand mit den Alguazas. Juarez horchte einige Augenblicke – da fielen mehrere Schüsse; er legte sich in die Hängematte zurück und meinte:
„Er ist tot! Was meint Ihr zu meiner Art und Weise, Gericht zu halten, Señor Arbellez?“
Der Gefragte hatte der interessanten Verhandlung mit dem größten Staunen beigewohnt. Er antwortete:
„Señor, sie scheint mir ganz und gar ungewöhnlich zu sein!“
„Aber praktisch, mein lieber Arbellez!“ meinte der Oberrichter. „Gerecht, freundlich und schnell, so muß die Justiz handeln, anders nicht. Darum wollen auch wir beide keine Zeit versäumen. Also Ihr bringt mir den Pachtzins?“
„Ja. Ich werde ihn vorzählen; ich habe das Geld noch auf dem Maultier.“
„Laßt das, Señor! Schickt mir das Geld nachher herein, wenn wir uns verabschiedet haben. Ich weiß, daß Ihr mich nicht betrügen werdet. Gehen wir lieber jetzt gleich zu Eurer Bitte über.“
„Aber, Euer Gnaden, sie wird nicht so schnell zu behandeln sein wie das Todesurteil.“
„Das wird uns nicht hindern, denn jedes Ding bedarf seiner Zeit. Also Ihr kommt zu mir als zum Richter?“
„Ja, ich flehe um Gerechtigkeit.“
„Für wen?“
„Für mich und die Meinen.“
„Und gegen wen?“
„Gegen viele. Es wird das eine sehr umfangreiche Erzählung werden; aber, Señor, ich habe so Schweres gelitten und ich leide auch jetzt noch so sehr, daß mein Vaterherz bitten muß, mir aufmerksam zuzuhören.“
„Sprecht nur, mein guter Arbellez“, sagte der Oberrichter. „Ich werde Euch bis zum Ende anhören. Aber brennt Euch vorher eine von meinen Zigaretten an.“
„Wie kann ich das tun, Euer Gnaden! Ich würde vor Schmerz und Tränen keinen Zug tun können.“
„Eben gerade darum sollt Ihr rauchen. Ich ehre den Schmerz und auch die Tränen, wenn sie ehrlich gemeint
Weitere Kostenlose Bücher