45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Mexiko groß machen; aber seine Bewohner sind es nicht wert. Der Häuptling der Mixtekas hat recht. Sein Geheimnis mag mit ihm sterben. – Und diese Sachen sind nur die Hälfte davon, was Euer Schwiegersohn bekam?“
„Ja.“
„Habt Ihr die andere Hälfte gut verwahrt?“
„Ja. Sie ist an einem Ort vergraben, an welchen sie von niemand gefunden wird.“
„Und diesen Teil wollt Ihr wirklich nach Deutschland senden? Ein Knabe soll ihn bekommen, der den Wert nicht kennt, und der auch kaum den rechten Gebrauch davon machen wird?“
„Ja. Der Häuptling der Mixtekas hat es selbst so gewollt, und ich muß ihm gehorsam sein. Sollte er je zurückkehren, so wird er mich loben, daß ich seinen Willen befolgt habe.“
„So können wir nichts dagegen machen. Dieser Schatz geht aus dem Land. Vielleicht aber kommt er in würdige Hände.“
Er trat an den Tisch, öffnete den Kasten und nahm ein Buch heraus, welches er öffnete. Es enthielt ein Namensverzeichnis, bei welchem die Kurse von Aktien und den verschiedensten Wertpapieren angegeben waren. Juarez suchte eine Zeit lang und sagte dann:
„Hier steht Mainz. Ich finde das Bankhaus Wallner verzeichnet. Dorthin wird die Sendung gehen, und ich bin überzeugt, daß bei dem großen Wert derselben der Mann sich Mühe geben wird, den Adressaten ausfindig zu machen. Wollt Ihr einen Brief beilegen?“
„O, Señor, das Schreiben fällt mir jetzt sehr schwer. Aber Miß Amy Lindsay wird die Güte haben, es für mich zu tun.“
„So bringt denselben heute noch zu mir, denn diese Sendung soll morgen mit dem frühesten bereits abgehen. Ich werde ihr eine genügende Eskorte geben und sie auch gut versichern lassen. Jetzt aber wollen wir ein Verzeichnis anfertigen, und sodann erhaltet Ihr die Bescheinigung, daß Ihr mir die Gegenstände übergeben habt.“
Dies geschah, und dann erhielt der Haziendero ein Zimmer angewiesen, welches er bewohnen sollte und in welchem er sich von dem Staub der Reise befreite, um dann Sir Lindsay aufzusuchen. Dort war nur Miß Amy zu Hause, von welcher er mit herzlicher Freude empfangen wurde.
Der alte, brave Mann hatte als ein glücklicher Vater bisher seine Tochter für das schönste Mädchen der Welt gehalten, aber als er die Engländerin erblickte, wie sie in einem schneeweißen, von rosaseidenen Spitzen verzierten Anzug vor ihm in der Hängematte lag, da glaubte er, die Madonna sei vom Himmel herabgestiegen, um mit ihm zu sprechen.
Sie erhob sich, reichte ihm ihre Händchen entgegen und sagte:
„Señor Arbellez! Aus del Erina! Welch eine Überraschung, welch eine Freude! Was für Nachrichten bringt Ihr mir?“
Ihre Schönheit entzückte ihn trotz seines Alters so sehr, daß er die Beantwortung der letzteren Frage einstweilen vergaß. Er drückte einen Kuß auf ihre Finger und sagte:
„O, Señorita, wie schön seid Ihr! Wer kann es unserem gnädigen Herrn verdenken, daß er Euch so lieb hat!“
„Euern gnädigen Herrn? Wen meint Ihr?“
„Nun, den rechten, wahren Herrn von Rodriganda, der bisher fälschlicherweise Mariano oder Herr de Lautreville genannt wurde.“
„Ah!“ rief sie. „So seid auch Ihr überzeugt, daß er es wirklich ist?“
„Seine Ähnlichkeit sind Beweises genug. Außerdem hoffe ich zu Gott, daß es uns gelingt, auch andere Beweise zu finden, welche vor dem Richter noch wirkungsvoller sind.“
„Wir alle hoffen es. Aber, was tut Mariano? Wo befindet er sich? Warum hat er mich während einer solchen Ewigkeit ohne Botschaft gelassen?“
„Señorita, er hat jedenfalls nicht gekonnt. Es scheint, die Sachen stehen so, daß ich der einzige Bote bin, der Euch von ihm erzählen kann. Dies ist freilich nur wenig und nicht tröstlich, und zudem war der Weg von der Hacienda nach hier während langer Monate so unsicher, daß ich mir weder getraute, einen Boten zu senden noch aber auch selbst zu gehen.“
„Untröstlich?“ fuhr sie auf. „Mein Gott! Setzen Sie sich und erzählen Sie!“
Er nahm bedächtig Platz und erzählte. Sie hörte ihm mit größter Spannung zu. Beide vergaßen ganz, daß sie nicht allein seien. In einer anderen Hängematte saß nämlich ein Mädchen, welches vor der Ankunft des Haziendero beschäftigt zu sein schien, der Miß vorzulesen. Es war ihre Duenna, ihre Gesellschafterin. In Mexiko ist es unabweisbare Sitte, daß jede anständige Dame eine Duenna habe.
Dieses Mädchen war sehr schön. Sie war augenscheinlich ein Mestize, das heißt, sie stammte von einem weißen Vater und einer
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