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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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indianischen Mutter ab. Diese Mischlinge sind gewöhnlich sehr schön, erben aber oft nur die schlechten Eigenschaften ihrer Eltern, welche sie unter der glänzenden Hülle ihres Äußeren zu verbergen wissen.
    Sie hielt die Augen niedergeschlagen und blickte scheinbar aufmerksam in das Buch. Aber wer sie schärfer beobachtet hätte, der konnte bemerken, daß sie den Worten des alten Mannes mit außerordentlicher Teilnahme folgte. Ihr Auge warf zuweilen durch die langen Wimpern einen blitzähnlichen Blick auf die beiden und ihre Mundwinkel zuckten dabei zu beiden Seiten empor, daß man den herrlichen Schmelz ihrer Zähne sehen konnte. Sie hatte dabei ganz das Aussehen eines bissigen Köters, welcher sehr gern zufahren möchte, aber aus Furcht sich nicht getraut, es zu tun. Ein Menschenkenner hätte diesem Mädchen niemals seine Zuneigung oder gar sein Vertrauen schenken können.
    Während derselben Zeit gab es in einem anderen Haus eine Unterredung, welche sich ganz auf denselben Gegenstand bezog. Es war das im Palast des Grafen de Rodriganda. Dort befand sich Josefa Cortejo in ihrem Zimmer. Auch sie lag in einer Hängematte hingestreckt, aber welch einen anderen Anblick bot ihre Erscheinung gegen diejenige der lieblichen Amy Lindsay. Das Jahr, welches vergangen war, hatte nicht dazu beigetragen, ihre Häßlichkeit zu vermindern. Sie war womöglich noch hagerer geworden, ihre Finger schienen aus langen, dünnen Totenknochen zu bestehen, und da sie noch nicht Besuchstoilette gemacht hatte, so fehlten ihr die falschen Zähne. Ihr schwarzer, brandiger Mund glich einem ausgestorbenen Krater, und während die falschen Locken noch auf der Toilette lagen, hing ihr natürliches Haar in kurzen, dünnen, spärlichen Strähnen über den scharfen, wirbeligen Hals herab, so daß man die Kopfhaut hindurchscheinen sah. Sie schien bei schlechter Laune zu sein, denn als ihre Dienerin jetzt eintrat, um sie zu frisieren, erwiderte sie deren höflichen Gruß mit keinem Wort.
    Die Dienerin war noch immer jene Indianerin, welche wir bereits bei ihr gesehen haben, und die den Namen Amaika führte. Sie begann, stillschweigend ihre Herrin anzukleiden. Es wurde dabei kein Wort gesprochen, und erst als die Indianerin die letzte Hand an die Toilette legte, fragte die Herrin:
    „Hast du mit deiner Tochter gesprochen?“
    „Nein“, lautete die Antwort.
    „Warum nicht?“
    „Weil ich, wenn ich uns nicht verraten will, doch nicht zu ihr gehen darf. Und zu mir ist sie bis jetzt nicht gekommen.“
    „Ich sehe, daß ihr beide nachlässig seid! Ich höre, daß diese Amy Lindsay eine Duenna sucht, ich lasse es mir Geld, Mühe und andere Opfer kosten, um ihr von anderer Seite deine Tochter empfehlen zu lassen. Ich sehe zu meiner Freude, daß mir die Intrige gelingt, daß sie sie engagiert. Aber nun ich durch die Spionin etwas von Bedeutung endlich einmal erfahren will, läßt sie sich nicht sehen!“
    „Sie wird kommen, sobald sie etwas Wichtiges erlauscht hat, darauf könnt Ihr Euch verlassen, meine liebe, schöne, Señorita!“
    „Schön!“ rief da Josefa. „Lüge nicht!“
    Da schlug die Alte ganz erstaunt die Hände zusammen und sagte:
    „Lügen? Mein Gott, sehen Sie doch in den Spiegel, Señorita! Der wird Ihnen sagen, ob ich lüge oder nicht!“
    Josefa warf wirklich einen Blick in den Trumeau, und da sie frisiert, gepudert und geschminkt worden war, so ließ sie sich von ihrem eigenen Bild täuschen.
    „Ich will dir glauben“, sagte sie. „Aber warum halten mich andere nicht für schön?“
    „Andere? Wer sollte denn das sein?“
    „Nun – dieser – dieser Herr de Lautreville, weißt du, der vor Jahresfrist mit jenem Sternau alle unsere Preise weggewann.“
    „Der? O, der war blind! Ja, bei der heiligen Madonna, ich glaube fast, daß er blind gewesen ist!“
    Die Herrin zuckte verächtlich mit der Achsel und sagte:
    „Nein, blind war er nicht, aber verliebt. Und das ist ganz dasselbe.“
    Die Indianerin war die Vertraute ihrer Herrin. Sie hatte mit ihr täglich über diesen Gegenstand gesprochen, und darum wußte sie sehr genau, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie meinte in einem höchst geringschätzigen Ton:
    „Verliebt? Wohl gar in jene Engländerin? Das glaube ich nicht. Er war ein gar so hübscher Señor und wird sich nie in dieser Weise wegwerfen.“
    „Aber man redet doch heimlich davon, daß Verlobung gefeiert worden sei, ehe er von hier abreiste.“
    „Ich glaube nicht daran, diese Amy will sich nur

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