45 - Waldröschen 04 - Verschollen
gegangen. Der Kapitän hat sich genau überzeugt, denn er ist bis zum Tagesanbruch an Ort und Stelle geblieben. Kein einziger ist gerettet worden.
Durch diesen kühnen Streich des Kapitäns sind wir nun alle Sorgen los. Ich teile Dir es schleunigst mit und behalte mir vor, Dir noch ausführlicher darüber zu berichten.
Dein Bruder
Gasparino Cortejo.“
Josefa ließ die Hand mit dem Brief sinken. Sie fühlte sich in diesem Augenblick von den widersprechendsten Empfindungen in Beschlag genommen und wußte nicht, ob sie zunächst lachen oder weinen sollte. Sie war leichenblaß, ob vor Freude oder vor Schreck, das ließ sich nicht bestimmen.
„So sind sie tot?“ fragte sie, die Augen starr auf ihren Vater gerichtet.
„Jawohl! Freilich! Du hast es ja gelesen!“ rief er, vor Freude glühend.
„Alle?“
„Alle.“
„O Dios! Also auch er!“ hauchte sie.
„Er? Wer?“ fragte er.
„Lautreville“, antwortete sie.
Da trat er näher an sie heran, faßte sie am Arm und sagte beinahe drohend: „Mädchen, ich hoffe, daß du den Verstand nicht ganz und gar verloren hast. Er liebte dich nicht, er hat dich von sich gewiesen. Und selbst wenn wir ehrlich mit ihm gewesen wären und ihn zum Grafen de Rodriganda gemacht hätten, würde er uns einige tausend Duros gegeben haben, weiter nichts, dich aber hätte er nicht angesehen. Diese Engländerin war ihm lieber. Sie wäre seine Gräfin de Rodriganda geworden.“
„Ja“, stimmte sie mit funkelnden Augen bei. „Sie hätte sein Glück geteilt, darum soll sie auch sein jetziges Schicksal teilen!“
„Wie meinst du das?“
„Sie soll untergehen wie er!“
„Pah!“ lachte er. „Willst du sie in die Luft sprengen, wie der Kapitän ihren Anbeter?“
„Es gibt noch andere Wege.“
„Von denen du keinen einzigen betreten wirst. Ich verbiete es dir auf das strengste! Wir dürfen den Sieg, den wir gewonnen haben, nicht durch die Unvorsichtigkeit eines Mädchens wieder in Gefahr bringen. Ich habe ganz andere Dinge vor, ich darf das Gelingen meiner Pläne nicht durch einen Jugendstreich in Frage stellen.“
„Deiner Pläne? Welche wären denn das?“
Er warf sich stolz in die Brust und erklärte:
„Ich habe bisher gegen dich geschwiegen, sehe aber, daß ich nun endlich sprechen muß, um dich vor Dingen zu bewahren, welche uns großen Schaden machen können. Du weißt, daß wir jetzt zwei Präsidenten haben, von denen ich keinen für geschickt halte, sich zu behaupten. Das Land bedarf einer einheitlichen Regierung, jetzt aber ist es zwischen diesen beiden Männern gespalten. Es ist ein Mann vonnöten, der bei einer rücksichtslosen Schlauheit auch die Geldmitteln besitzt, seine Gegner zu bestechen, er wird dann Präsident, und dann stehen ihm alle Reichtümer der Nation zu Gebot. Und dieser Mann werde ich sein.“
„Du?“ fragte sie mit dem Ausdruck des unverhohlensten Erstaunens.
„Ja, ich!“ antwortete er im Ton stolzen Selbstbewußtseins. „Oder wunderst du dich darüber? Ich habe meinen Neffen zum Grafen von Rodriganda und meinen Bruder zum Verweser von dessen Einkünften gemacht. Das Haus Rodriganda besitzt über hundert Millionen. Soll ich leer ausgehen? Nein, sondern ich werde die mexikanischen Besitzungen erhalten. Sie repräsentieren einen Wert von vierzig Millionen. Ich stehe schon längst in Unterhandlungen mit dem ‚Panther des Südens‘. Wenn ich ihm eine Million zahle, fällt mir sein ganzer Anhang zu. Er will mich in diesen Tagen aufsuchen, vielleicht kommt er bereits heute abend. Er beherrscht sämtliche Bewohner der Gebirge und die freien Indianer des Südens. Sobald ich ihm seine Million gegeben habe, wirbt er an und erscheint mit über zehntausend Mann hier in der Stadt. Benito Juarez wird gefangen genommen und erschossen, mit den anderen habe ich dann leichtes Spiel.“
Die Augen des Mädchens glänzten vor Entzücken.
„Und das ist wahr, wirklich wahr?“ fragte sie.
„Glaubst du, daß ich träume?“
„O nein, sondern mir ist ganz so, als ob ich es sei, welche träumt. Ich, Josefa Cortejo, von der sich die anderen stolz zurückziehen, die Tochter des Präsidenten, die höchste Dame des Landes! Wer hätte das gedacht! O, wie werde ich sie alle mit Verachtung strafen, die sich jetzt einbilden, hoch über mir zu stehen. Sie sollen ihren Stolz büßen müssen, alle, alle, alle!“
Er nickte jetzt, wohlgefällig zustimmend, und sagte:
„So will ich dich hören und sehen, denn so bist du eine echte Cortejo. Wir sind gewohnt
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