45 - Waldröschen 04 - Verschollen
gewesen, unsere Herren zu beherrschen und uns an unseren Widersachern zu rächen. Was ist mein Bruder, was ist sein Sohn, der falsche Rodriganda, gegen mich und dich! Was wäre Mariano, der echte Rodriganda, wenn er nicht in die Luft geflogen wäre, gegen uns? Ich werde der Beherrscher von Mexiko sein. Ich werde dieses Land zu einem erblichen Königreich machen, und für dich wird dann nur ein königlicher Prinz gut genug sein. Du siehst, daß wir vor einer Aufgabe stehen, deren Lösung wir uns nicht durch leichtsinnige Jugendstreiche unmöglich machen dürfen. Ich hätte nichts dawider, wenn du dich an dieser Amy und ihrem stolzen Vater rächen wolltest, wenn es nur ohne Gefahr für uns geschehen könnte. Aber wie leicht könnten wir verraten werden, und dann wäre das Gelingen unseres Planes sehr in Frage gestellt. Ich darf mich nicht blamieren oder gar unpopulär machen.“
„Ich gebe dir Recht! O, wäre es doch bereits so weit. Also um eine Million handelt es sich?“
„Ja, gerade um eine Million.“
„Aber woher diese ungeheure Summe nehmen, bevor dir die mexikanischen Besitzungen zugesprochen worden sind?“
„Ich verkaufe eine derselben im Namen des Besitzers, oder, was noch besser und müheloser ist, ich schenke sie dem ‚Panther des Südens‘. Nun unsere gefährlichsten Feinde vernichtet sind, darf ich alles wagen.“
„Aber haben wir wirklich keine Feinde mehr, durch welche es entdeckt werden kann, daß Alfonzo nicht der richtige Sohn des alten Rodriganda ist?“
„Diejenigen, welche noch übrig geblieben sind, habe ich nicht zu fürchten.“
„Auch nicht den Haziendero Pedro Arbellez, und die schändliche Marie Hermoyes, welche von uns zu ihm geflohen ist?“
„Bin ich Präsident, so sind sie in meine Hand gegeben!“
„Rosa de Rodriganda, welche jetzt Frau Sternau heißt?“
„Sie hat ihr Erbteil ausgezahlt erhalten und ist unschädlich!“
„Der Kapitän Henrico Landola, welcher das ganze Geheimnis kennt?“
„Er erhält seinen Lohn und wird schon um seiner selbst willen verschwiegen sein.“
„So haben wir also keinen Menschen eigentlich mehr zu fürchten und können ruhig sein. Aber wenn ich mich an dieser Amy Lindsay rächen könnte, ohne uns Schaden zu machen, so würde ich mein Glück vollständig nennen.“
„Vielleicht ist es möglich. Man kann eben nicht in die Zukunft blicken. Sollte sich die Gelegenheit bieten, so hoffe ich, daß du nicht handelst, ohne mich vorher um Rat zu fragen. Jetzt weißt du alles. Ich muß zum Präsidenten gehen. Je mehr ich mich bei ihm einschmeichle, desto fester habe ich ihn im Sack. Adiós, meine Tochter!“
„Adiós, mein Vater!“
Er küßte sie und sie ihn, ein Zärtlichkeitserguß, welcher zwischen diesen beiden Verwandten seit langer Zeit nicht mehr stattgefunden hatte.
Als er sich entfernt hatte, eilte sie an den Spiegel, um sich zum tausendsten Mal zu betrachten und dabei heute allerdings zum ersten Mal zu beurteilen, ob ihre Schönheit einer Präsidenten- oder gar Königstochter würdig sei. Sie war noch mit dieser Untersuchung beschäftigt, als es leise an die Tür klopfte. Auf ihr „Herein!“ trat jene Halbindianerin ein, welche als Duenna jetzt im Dienste von Amy Lindsay stand. Sie war die Tochter der alten Amaika und hatte ihre jetzige Stellung nur zu dem Zweck angetreten, Josefa Cortejo als Spionin zu dienen.
„Ah“, sagte diese, „endlich! Ich dachte bereits, du hättest vergessen, daß du in meinem Sold stehst. Hast du etwas Wichtiges erfahren?“
„O, etwas sehr Wichtiges, Señorita!“ antwortete die schöne Spitzbübin.
„So erzähle schnell!“
„Darf ich mich vorher setzen?“
„Setz dich!“
Das Mädchen nahm in der Hängematte Platz, und zwar in einer Stellung, in welcher alle ihre Reize zur Geltung kamen. War sie eine natürliche Kokette oder beabsichtigte sie, der Señora zu zeigen, welche von beiden die Schönere sei?
„Nun?“ fragte Josefa in einem nicht sehr freundlichen Ton, da sie unwillkürlich die Schönheit dieser Dienerin mit der ihrigen vergleichen mußte.
„Ich hoffe, heute eine sehr gute Belohnung zu erhalten, Señorita“, sagte das Mädchen, „denn ich bringe wirklich einige Neuigkeiten von größter Bedeutung. Nämlich Pedro Arbellez war jetzt bei uns.“
„Der Haziendero von del Erina?“ fragte Josefa erstaunt.
„Ja. Er ist auch beim Oberrichter gewesen, der ihn sogar eingeladen hat, bei ihm zu wohnen.“
„Santa Madonna! Was hat dies zu bedeuten?“
„Nicht sehr
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