45 - Waldröschen 04 - Verschollen
„Sie waren lange krank, und wenn Sie sich während der letzten Jahre wieder erholt haben, so gehört eine solche Angelegenheit doch in jüngere Hände. Und was die Kameraden betrifft, so bin ich bereits gewarnt worden, daß man bei meinem Eintritt wahrscheinlich Front gegen mich machen werde. Es herrscht bei der Garde ja bekanntlich der Modus, bürgerliche Offiziere tot zu schweigen oder lahm zu malträtieren. Eine Forderung gegen diesen Ravenow wird mir also nicht mehr Feinde erwecken, als ich außerdem auch bereits finden würde.“
„Darüber läßt sich später sprechen“, meinte der Herzog begütigend. „Deine letzten Worte aber erinnern mich daran, daß die Stunde fast da ist, in welcher du beim Kriegsminister zu erscheinen hast. Du bist bei ihm gut akkreditiert, hast dich ja auch durch deine bisherigen Leistungen selbst bestens empfohlen und wirst also einen freundlichen Empfang finden. Ich wünsche, daß dies bei deiner heutigen Tournee überall der Fall sein mag.“
Damit war die Angelegenheit einstweilen erledigt, und Kurt verabschiedete sich, um die vorgeschriebenen Besuche bei seinen Vorgesetzten zu machen. Im Stillen gelobte er sich aber, keinem der Offiziere die leiseste Trübung seiner Ehre zu gestatten und insbesondere diesem Ravenow bei erstbester Gelegenheit auf die Finger zu klopfen.
Es wurde für ihn ein hübsches einspänniges Kabriolett bereit gehalten, welches er bestieg, um die anstrengende Arbeit des sich Vorstellens schneller zu vollenden. Das hübsche Coupé trug ihn zunächst zum Kriegsminister. Er hatte den Befehl erhalten, sich bei demselben vorzustellen, was sonst bei jungen Offizieren, die nur an ihren Regimentskommandeur gewiesen sind, nicht der Fall ist. Dieser Umstand bewies ihm, daß man Gründe habe, mit ihm eine für ihn höchst ehrenvolle Ausnahme zu machen. Und eine ganz außerordentliche Bevorzugung war es, daß er nicht zu warten brauchte, sondern sogleich vorgelassen wurde, obgleich im Vorzimmer zahlreiche Personen auf Audienz warteten, und es neidisch bemerkten, daß dieser junge Mann den Vortritt erhielt.
Der Minister empfing ihn freundlich, überflog seine Erscheinung mit einem befriedigenden Lächeln und sagte:
„Sie sind noch jung, Herr Leutnant, außerordentlich jung, aber Sie wurden mir empfohlen, und ich bin geneigt, diese Empfehlung zu berücksichtigen. Sie haben trotz ihrer Jugend die militärischen Institutionen mehrerer Teile des Auslandes eingehend studiert und kennengelernt, ich habe Ihre bezüglichen Arbeiten gelesen und kann meinen Beifall nicht versagen. Ich meine, daß Ihr Talent zu guten Hoffnungen berechtigt, und so habe ich den Entschluß gefaßt, Sie im großen Generalstab zu beschäftigen, sobald Sie unser Gardekorps kennengelernt haben. Ich verhehle Ihnen nicht, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen werden, welche sich auf die Traditionen dieses Korps stützen mögen, und ich ersuche Sie, diese Schwierigkeiten soweit zu ignorieren, als es Ihre Offiziersehre möglich macht. Man wird Ihnen kalt und zurückweisend begegnen, und darum habe ich einige Zeilen verfaßt, welche Sie Ihrem Obersten übereichen sollen. Es ist das eine Ausnahme, welche den Zweck hat, Ihnen die ersten Schritte zu erleichtern. Gehen Sie mit Gott und lassen Sie mich recht bald erfahren, daß Sie in Ihrem neuen Kreis an Ihrer Stelle sind, obgleich Sie nicht das Glück haben, den exklusiven Kreisen unseres Adels anzugehören.“
Er übergab Kurt ein versiegeltes und an den Obersten adressiertes Kuvert und machte mit wohlwollender Miene das Zeichen der Entlassung, nachdem er ihn aufmerksam gemacht hatte, sich zunächst auch dem Divisions- und dann dem Brigadekommandeur vorzustellen.
Dieser Anfang war sehr ermutigend, leider aber zeigte sich die Fortsetzung als viel weniger erfreulich. Der Divisionsgeneral ließ sagen, daß er nicht zu Hause sei, trotzdem Kurt ihn am Fenster bemerkt hatte, und der Brigadier empfing ihn zwar, aber mit einem sehr finsteren Gesicht.
„Sie heißen Helmers?“ fragte er.
„Zu Befehl, Exzellenz.“
„Weiter nicht? Sie haben kein ‚Von‘ vor Ihrem Namen?“
„Nein“, antwortete Kurt ruhig.
„So kann ich nicht begreifen, wie man Sie zur Garde legen kann?“
Das war eine direkte, rücksichtslose Malice, und darum antwortete Kurt:
„Vielleicht begreift es Seine Exzellenz der Herr Kriegsminister. Ich kenne übrigens kein adeliges Geschlecht, dessen Ahne ein ‚Von‘ vor dem Namen gehabt hätte. Sollte die jetzige Generation dieser
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