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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihn zueilte und ihm beide Hände zur Begrüßung entgegenstreckte.
    Er versuchte den gewaltigen Eindruck, unter welchem sein Herz jetzt erbebte, zu bemeistern, verbeugte sich tief vor ihr, nahm eines ihrer kleinen Händchen und führte es leise an seine Lippen. Zu sprechen vermochte er in diesem Moment noch kein Wort. Das Zittern seiner Stimme hätte ihn verraten.
    Sie blickte erstaunt auf ihn, zog die fein gezeichneten Brauen ein wenig in die Höhe und sagte:
    „So fremd und förmlich! Kennt der Herr Leutnant mich nicht mehr?“
    „Sie nicht mehr kennen?“ fragte er, indem er sich mächtig zusammennahm. „Eher würde ich mich selbst nicht mehr kennen, Hoheit!“
    „Hoheit!“ rief sie. Sie schlug die Händchen zusammen und stieß jenes goldene Lachen aus, welches man nur aus ihrem Mund so rein, so entzückend zu hören vermochte. „Ah, Sie erinnern sich wohl plötzlich des Umstandes, daß Mama eine Gräfin de Rodriganda war?“
    „Allerdings“, antwortete er ziemlich verlegen.
    „Und daß Papa Sternau jedenfalls der Sohn des Herzogs von Olsunna ist?“
    „Auch das, Prinzeß!“
    „Oh, nun gar Prinzeß!“ lachte sie. „Kurt, warum haben Sie früher nicht an diese Verhältnisse gedacht? Ich bin Röschen gewesen, und Sie waren Kurt; so war es, und so bleibt es hoffentlich! Oder ist der Herr Leutnant stolz geworden, seit man ihn zu den Gardehusaren versetzt hat, wie ich höre?“
    Erst jetzt betrachtete sie ihn genauer. Das schelmische Lächeln, welches bisher zwei allerliebste Grübchen in ihre Wangen gegraben hatte, verschwand und machte einer feinen, mädchenhaften Röte Platz. Dies war die unmittelbare Folge des unwillkürlichen Gedankens, daß dieser kleine Kurt doch eine ausgezeichnete Erscheinung geworden sei.
    Jetzt hatte er seine Aufwallung bemeistert. Mit einem treuen, leuchtenden Blick ergriff er ihre Hände, und in seinen Augen glänzte es feucht, als er im Tone des Glückes sagte:
    „Ich danke Ihnen, Röschen! Ich bin noch ganz der alte, voller Bereitwilligkeit, für Sie durch tausend Feuer zu gehen, oder mich um Ihretwillen mit einer ganzen Armee von Feinden zu schlagen.“
    „Ja, so waren Sie stets als Knabe; Sie haben sich immer für das mutwillige, undankbare Röschen aufgeopfert. Jetzt nun bin ich hoffentlich verständiger und weniger anspruchsvoll geworden. Ich werde Sie wohl nicht durchs Feuer jagen und auch nicht einer ganzen Armee von Feinden gegenüberstellen, obgleich ich wohl gerade heute Veranlassung hätte, Ihnen als meinem tapferen Ritter das Schwert in die Hand zu drücken.“
    „Ah, ist's möglich, Röschen? Hat man Sie beleidigt?“ fragte er mit blitzenden Augen.
    „Ein wenig“, antwortete sie.
    Jetzt griff auch der Herzog in das Gespräch ein, indem er sich rasch erkundigte.
    „Beleidigt bist du worden? Von wem, mein Kind?“
    „Von einem Leutnant von Ravenow. Er steht bei den Gardehusaren gerade wie unser Kurt. Ich habe diese infame Attacke übrigens sehr siegreich zurückgeschlagen, wie ich glaube; nicht wahr, Großmama?“
    „Ja, allerdings“, antwortete die frühere Frau Sternau und jetzige Herzogin von Olsunna. „Ich habe wirklich kaum geglaubt, daß dieses liebe Kind gleich bei seinem ersten Schritt in die Welt eine solche Schlagfertigkeit entwickelt.“
    „Ich bin höchst wißbegierig“, meinte der Herzog. „Erzählt doch einmal!“
    Man nahm Platz, und nun berichtete die Herzogin den Hergang der Sache. Olsunna bewahrte seine Ruhe, aber Kurt rückte erregt auf seinem Sessel hin und her. Als die Berichterstatterin geendet hatte, rief er aufspringend:
    „Bei Gott, das ist stark! Dieser Mensch muß vor meine Klinge!“
    Der Herzog wehrte mit einer Handbewegung ab und sagte ernst:
    „Das nicht, lieber Kurt! Du würdest dir gleich bei deinem Eintritt in das Offizierskorps die Kameraden zu Feinden machen. Ich selbst werde diese Angelegenheit in die Hand nehmen und mir Genugtuung verschaffen.“
    „Genugtuung? Sie werden sie nicht erhalten. Dieser Ravenow wird sich erfolgreich damit entschuldigen, daß er die Damen nicht gekannt hat.“
    „Das ist möglich. Er konnte sie allerdings für gewöhnliche Frauen halten, da ich es unterließ, an meinem Wagen ein Wappen anzubringen. Doch ist es dann immer noch an der Zeit, mit der Waffe einzutreten. Ich bin außer Übung gekommen, aber ich werde, will's Gott, doch noch so viel Gewandtheit besitzen, um diesen Leutnant selbst bestrafen zu können.“
    „Das werde ich auf keinen Fall zugeben, Hoheit!“ meinte Kurt.

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