45 - Waldröschen 04 - Verschollen
ihre Wahrheit bewährte, auf wichtige diplomatische Konstellationen schließen. Man beginnt, sich huldvoll gegen die Südstaaten zu zeigen, man will sie also fesseln. Meine Herren, ich glaube, wir werden in einiger Zeit nach Frankreich reiten. Wenn das nur recht bald geschehe, wir sind gerade jetzt im rechten Zug. Aber zerbrechen wir uns nicht den Kopf.“
„Die Sache ist, daß wir eingeladen sind und einen amüsanten Abend haben werden. Die Räume von Montbijou haben uns noch nie zur Verfügung gestanden; es wird uns da eine Auszeichnung zu Teil, um welche man uns beneiden wird. Wir werden dankbar sein, und ich bin überzeugt, daß die Herren, besonders die jüngeren, alle ihre Liebenswürdigkeit entfalten werden. Jetzt wollen wir zur Verteilung der Karten schreiten.“
„Darf ich mir die Frage gestatten, Herr Oberst, ob dieser Leutnant Helmers auch ein Exemplar erhalten wird?“ fragte Ravenow.
Diese Erkundigung enthielt eine Keckheit, dennoch aber antwortete der Gefragte in einem freundlichen Ton:
„Weshalb erkundigen Sie sich, lieber Ravenow?“
„Weil ich niemals eine Soiree besuchen würde, auf welcher obskure Menschen erscheinen.“
„Dann brauchen Sie lieber gar nicht zu fragen, denn wir alle hegen dieselben Grundsätze und Ansichten wie Sie. Übrigens tritt dieser Helmers erst morgen an, heute aber bereits werden die Karten verteilt, er geht uns also noch gar nichts an. Hier, lieber Branden, haben Sie die Karten. Besorgen Sie die Verteilung.“
Der Adjutant nahm das Kuvert in Empfang, gab jedem der Anwesenden eine der Einladungen und hob die übrigen für diejenigen auf, welche nicht zugegen waren.
Kaum war er damit fertig, so ging die Tür auf, und Kurt trat ein. Alle Augen richteten sich auf ihn, glitten aber sogleich wieder von ihm fort, so daß er merken mußte, daß man nichts von ihm wissen wolle.
Er ließ sich aber nicht dadurch beirren, behielt den Tschako auf und schritt sporenklirrend auf den ältesten der anwesenden Offiziere zu. Dies war Oberst Winslow. Vor ihm hielt er an, schlug die Fersen zusammen, legte die rechte Hand grüßend an die Kopfbedeckung, die linke an den Schenkel und sagte:
„Leutnant Helmers, Herr Oberst. Ich bitte um die Freundlichkeit, mich den Herren Kameraden vorzustellen!“
Der Oberst hatte die Whistkarten in der Hand, drehte sich langsam um, tat, als ob er ihn nicht verstanden habe, und fragte:
„Wie? Was wollen Sie?“
„Ich erlaube mir die Bitte, mich den Herren vorzustellen, Herr Oberst.“
Der Oberst zog die Augenbrauen hoch empor, sah Kurt langsam vom Kopf bis zum Fuß an und sagte:
„Vorstellen? Ah! Wer sind Sie?“
Auf allen Gesichtern war Schadenfreude zu bemerken; nur Leutnant Platen errötete vor Verdruß darüber, daß man einen braven, jungen Mann, in dieser Weise beleidigte.
Alle wußten, daß sich jetzt entscheiden müsse, was Helmers für ein Charakter sei. Kein Kavalier konnte diesen Schimpf auf sich sitzen lassen. Es waren abermals aller Augen auf Kurt gerichtet.
In dem Gesicht desselben zuckte keine Miene, und mit vollständig fester Stimme sagte er:
„Ihr Herr Adjutant, Leutnant von Branden, ist Zeuge, daß ich mich Ihnen heute vorgestellt habe. Ich bin gern bereit, einem schwachen Gedächtnis, wo ich es finde, zu Hilfe zu kommen: Ich bin Leutnant Helmers, Herr Oberst.“
Da fuhr der Oberst von seinem Sitz auf und rief:
„Donnerwetter, was meinen Sie, Herr Heller, Hellers, Helmers, oder wie Sie heißen! Wer hat ein schwaches Gedächtnis, he?“
Kurt ließ die rechte Hand vom Tschako fallen, lächelte sehr freundlich und antwortete:
„Ich stelle es ganz in das Belieben des Herrn Obersten, zu erklären, ob mein Name aus wirklicher, unschuldiger Gedächtnisschwäche oder aus Absicht vergessen worden ist. Im letzteren Fall werde ich den Herrn Kriegsminister, Exzellenz, ersuchen, mich dem Herrn Oberst vor der Front des Regimentes eklatanter vorzustellen, und ich gebe hiermit mein Ehrenwort, daß die Exzellenz dies tun wird.“
Der Oberst erbleichte.
Er hatte das Empfehlungsschreiben des Ministers gelesen; er sah jetzt in die freundlichen, selbstbewußten Augen des jungen Mannes, und es ging ihm die Ahnung auf, daß er es hier mit einem geistig wenigstens ebenbürtigen Gegner zu tun habe.
Wie jetzt die Sache stand, mußte selbst ein parteiisches Urteil dahin gefällt werden, daß der Leutnant von seinem Obersten verleugnet, also fürchterlich beleidigt worden sei.
Helmers stand ganz so da, als ob er diese Beleidigung
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