46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Grafen und Señores, und aller Augen so freundlich auf Euch leuchteten, stand ich von fern und fühlte, daß ich immer und ewig so fern stehen müsse. Ihr seid so hoch und ich bin so tief und niedrig; Euer Kommen zu mir würde ein Fall sein, nichts als ein Fall.“
Da wurde sie plötzlich blaß; er sah, daß sie erschrak.
„Mein Gott, wer hat Euch das gesagt? Wer hat Euch diese Gedanken gebracht?“
Während sie diese Frage aussprach, trat sie einige Schritte zurück, als wolle sie sich ihn erst einmal genauer ansehen.
„Sie sind ganz von selbst gekommen, diese Gedanken“, antwortete er.
„Gebt ihnen nicht Raum, Señor! Wißt Ihr denn nicht mehr, was Ihr mir gebeichtet habt, und habe ich Euch nicht alles vergeben?“
„Ich weiß es noch. Ihr wart so mild und gut. Darum denke ich, Ihr werdet auch heute so sein, und mir eine große Bitte erfüllen.“
„Ich erfülle sie; sagt nur welche!“
„So schließt einmal Eure Augen, Señorita!“
„Ah“, lächelte sie, „Ihr wollt es machen, wie Kinder zuweilen es tun? Ihr wollt mich überraschen?“
„Ja; aber ich denke, daß Euch diese Überraschung nicht gefallen wird.“
„Nun wir wollen es versuchen. Also seht her! Die Augen sind zu.“
Sie schloß wirklich die Augen. Da trat er schnell näher, legte die Arme um sie und drückte sie an sich. Ehe sie Zeit fand, die Augen zu öffnen, fühlte sie seine Lippen auf den ihrigen, einmal, zwei, drei, viermal; dann flüsterte er ihr ins Ohr:
„Ich danke dir, du liebe, liebe, liebe Resedilla! Vergiß mich nicht ganz, wenn du einmal so recht glücklich bist!“
Dann fühlte sie, daß seine Arme sich von ihr lösten, und als sie die Augen öffnete, stand sie wieder ganz allein in dem Zimmer.
Er aber eilte die Treppe hinab und nach der Gaststube, in welcher er sein Gewehr liegen hatte. Als er dieses ergriff und schnell wieder fort wollte, fragte ‚Geierschnabel‘:
„Was ist's? Kommen sie schon!“
„Ich weiß es nicht; aber es ist besser, wachsam zu sein. Ich werde hinausgehen, um aufzupassen.“
„So gehe ich mit.“
Auch der Yankee griff nach seiner Büchse, und beide gingen, um draußen, wo man die Gegend besser überblicken konnte, Wache zu halten. Dies aber war nicht nötig, denn in eben demselben Augenblick erhob sich draußen ein lautes Rufen.
„Sie kommen, sie kommen!“ ertönte es.
Sofort ergriffen alle die Waffen und eilten fort.
Graf Ferdinande war nach dem oberen Stockwerk gegangen, um das ihm angewiesene Zimmer zu besichtigen. Er hörte diese Rufe und trat aus seiner Stube heraus, um wieder nach unten zu eilen. Da öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und im Rahmen derselben erschien ein junges Mädchen, von der Schönheit und dem Glanz der Jugend umflossen. Es war Pepi.
Der Graf blieb bei ihrem Anblick wie versteinert stehen.
„Amilla!“ entfuhr es unwillkürlich, aber laut und deutlich seinen Lippen, indem er die beiden Arme erhob, als ob er das Mädchen umfassen wolle.
Sie trat überrascht zurück, aber ohne die Tür zu schließen. Diese Bewegung weckte ihn aus seiner Täuschung. Er trat auf sie zu und sagte:
„Verzeihung, Señorita! Gehören Sie zur Familie des Wirtes?“
„Nein“, sagte sie, kein Auge von seiner ehrwürdigen Gestalt abwendend.
„So sind Sie fremd, wie ich?“
„Ja.“
„Würden Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu nennen!“
„Ich heiße Pepita; man pflegt mich aber Pepi zu nennen.“
„Ich meine Ihren Familiennamen.“
„Ich habe keinen.“
„Ah, das ist doch nicht möglich.“
„Ich habe keine Eltern; ich wurde mit meiner Schwester im Kloster erzogen.“
„Sie haben eine Schwester?“
„Ja.“
„Wie alt ist sie?“
„Sie zählt siebzehn, ich achtzehn Jahre.“
„In welchem Kloster wurden Sie erzogen?“
„Im Kloster della Barbara zu Santa Jaga.“
Er wollte weiterfragen; da aber traten aus zwei entfernteren Türen zwei Herren hervor, welche rasch herbeigeschritten kamen. Es war Berthold mit Willmann, die beiden Wiener Doktoren.
„Was ist los? Warum schießt man?“ fragte Berthold.
„Franzosen kommen, um das Fort zu überfallen“, antwortete der Graf.
„Das ist ja im höchsten Grad überraschend. Komm, Willmann, das müssen wir sehen!“ Sie eilten miteinander die Treppe hinab. Pepi war über Don Ferdinandes Worte so erschrocken, daß sie in ihr Zimmer zurücktrat und die Tür schloß.
„Pepita heißt sie!“ murmelte der Graf. „Eine Schwester hat sie, und beide wurden im Kloster erzogen, in jenem
Weitere Kostenlose Bücher