46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
wiederzugeben.“
„Wird er es tun?“
„Er wird es tun.“
„So laß uns aufbrechen und sogleich zu ihm gehen.“
„Ja komm. Die Mutter soll sich freuen, wenn ‚Bärenherz‘ zurückkehrt, denn er wird ihr den Medizinmann bringen, der ihre Augen gesund macht!“
Sein Gesicht glänzte voll Glück und Freude, seine Mutter wiedersehen zu können. Fast wäre er aufgestiegen, ohne an das notwendigste zu denken:
„Halt!“ sagte ‚Bärenauge‘. „Wir haben uns gewaschen!“
„Uff!“ rief ‚Bärenherz‘.
Er griff unter seine Satteldecke und brachte die Farbennäpfchen hervor, welche jeder Indianer im Krieg bei sich führt. Sein Bruder holte die seinigen herbei, und da sie zu zweien waren, konnten sie einander Hilfe leisten.
Es wäre für einen Genre-Maler ganz gewiß von größtem Interesse gewesen, dieser Szene beiwohnen zu können. Da standen die beiden berühmten Häuptlingsbrüder hinter dem Gesträuch am Fluß, beide sich so ähnlich an Gestalt, Gesicht und Charakter, bewaffnet bis an die Zähne, und malten sich gegenseitig die Gesichter an, immer einer dem anderen, und das zwar mit einem so hohem Ernst und mit einer Arbeitsliebe, als ob es sich um ein bedeutendes Kunstwerk handle.
Als sie fertig waren, betrachteten sie sich gegenseitig mit kritischen Blicken, ob das große Werk auch gelungen sei. Und da beide aus brüderlicher Liebe das vorzüglichste geleistet hatten, so steckten sie die Farbennäpfchen wieder in die Satteltaschen zurück und bestiegen die Pferde.
Als sie hinter den Büschen hervorkamen und in strenger Haltung so ernst und gemessen nach dem Kampfplatz zurückkehrten, hätten wohl die wenigsten vermutet, daß sich vorher eine so herzliche, tiefinnige Szene an den Fluten des Puercosflusses abgespielt hatte.
Natürlich galt ihr erster Ritt dem Präsidenten Juarez, welcher soeben das Schlachtfeld beritt. Die Indianer hatten ihre Toten zusammengetragen, um heute am Abend die Totenklage über sie anzustimmen. Die Franzosen waren bereits in den Fluß geworfen worden.
Ist der Indianer mit seinen Familiengenossen zusammen, so nennt er sich ‚ich‘, er spricht also in der ersten Person. Anderen gegenüber aber nennt er sich fast stets bei seinem Namen, so daß es für einen Uneingeweihten leicht ist zu denken, er rede von einer dritten Person, welche gar nicht zugegen ist.
Die beiden Brüder hatten sich während ihrer Unterredung des Ausdruckes ‚ich‘ bedient. Von jetzt an aber hatten sie meist wieder in der dritten Person zu sprechen.
Als Juarez sie kommen sah, hielt er sein Pferd an, um sie zu erwarten. Sie kamen heran, er deutete auf die ringsum sichtbaren Blutlachen und sagte:
„Der Tomahawk der Apachen hat eine reiche Ernte gehalten.“
„Uff!“ antwortete ‚Bärenauge‘ einfach.
„Meine roten Brüder sind tapfere Krieger. Wem gehören die beiden Leichenhaufen, welche dort noch am Felsen liegen?“
Dort hatte man nämlich während der Abwesenheit der Häuptlinge zwei Haufen Franzosenleichen zusammengetragen. ‚Bärenauge‘ antwortete:
„Sie gehören ‚Bärenherz‘ und ‚Bärenauge‘. Feinde wurden von ihnen erlegt und mit ihrem Zeichen versehen. Der Apache nimmt nur die Skalpe der Feinde, welche er selbst getötet hat.“
Der Blick des Präsidenten musterte ‚Bärenauge‘.
„Ah!“ sagte er. „Dieser Krieger ist Shoshin-liett, der berühmte Häuptling der Apachen?“
„Ja“, antwortete sein Bruder.
„Ich hörte, er sei verschwunden.“
„Du hast recht gehört; heute aber ist der Häuptling wiedergekommen.“
Da nahm das Gesicht des Präsidenten den Ausdruck des Nachsinnens an.
„Ah“, sagte er, „jetzt weiß ich es; jetzt besinne ich mich. Kennt mein Bruder ‚Bärenherz‘ die Hacienda del Erina?“
„Er kennt sie“, antwortete der Gefragte.
„Der Besitzer war einst bei mir, als ich noch Obermeister war, und erzählte mir von verschwundenen Leuten, unter denen auch ‚Bärenherz‘ war.“ Und wieder abbrechend, fragte er: „Haben die Apachen heute viele Skalpe und Beute gewonnen?“
Er ging deshalb sogleich zu einem andern Gegenstand über, weil er aus Erfahrung wußte, daß Indianer, und zumal Häuptlinge, sich nicht gern ausfragen lassen.
„‚Bärenauge‘ hat die Beute seinen Kriegern geschenkt, er weiß nicht, ob sie groß ist“, lautete die stolze Antwort.
„Es sind jedenfalls dreihundert Gewehre!“
‚Bärenauge‘ nickte.
„Und ebensoviele Pferde.“
„Ja.“
„Nebst vieler Munition.“
Ein abermaliges
Weitere Kostenlose Bücher