46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
lieb!“
Sie umarmten sich, drückten einander an das Herz und küßten sich. Sie schoben einander von sich ab, um sich wieder anzusehen, zu umarmen und zu küssen.
Sie waren so glücklich, so froh, wie zwei Kinder, zwei Knaben, welche noch nicht Männer sind, und also die Stimme des Herzens sprechen lassen können.
Man sage nicht, daß die Indianer Wilde sind. Man hat sie zu dem gemacht, was sie scheinen. Sie sind ebenso gute, treue, liebe und ehrliche Menschen, wie alle anderen Leute. Wer sie kennengelernt hat, der weiß das.
Die beiden setzten sich wieder nieder. Sie hatten sich, und so ging ihnen für jetzt alles andere ganz und gar nichts an.
„Du warst sechzehn Sommer fort“, sagte ‚Bärenauge‘.
„Du warst ein Knabe als ich ging.“
„Und du ein großer Häuptling. Warum kehrtest du nicht zurück?“
„Ich werde es dir später erzählen. Als ich ging, lebte mein Vater noch.“
„Er ist tot.“
„Wie starb er?“
„Im Kampf, nachdem er elf Comanchen getötet hatte.“
„So ist er in die ewigen Jagdgründe gegangen, wo ihn die Comanchen bedienen werden in alle Ewigkeit. Sie werden seine Sklaven sein. Warst du bei ihm, als seine Seele seinen Körper verließ?“
„Sein Haupt lag in meinem Schoß, als er verschied.“
„Welches war sein letztes Wort?“
„Sein letztes Wort warst du.“
In das Auge ‚Bärenherz‘' traten Tränen.
„Hast du ihm ein Grabmal errichtet?“ fragte er.
„Ja. Es ist das größte Grabmal im ganzen Gebiet der Apachen. Er sitzt in seinem Grab auf seinem Schlachtroß, behängt mit allen Skalpen und Totems und trägt seine Waffen in den Händen.“
„Ich werde sein Grabmal besuchen und dort zum großen Geist beten. Als er starb, verloren die Kinder der Apachen einen guten Vater und einen großen Häuptling.“
„Sie baten mich, sein Nachfolger zu sein.“
„Du wurdest es?“
„Nicht gleich, denn du warst würdiger als ich. Die Kinder unseres Stammes waren fünf Sommer und fünf Winter ohne Häuptling. Als du da noch nicht zurückkehrtest, konnte ich den Bitten nicht länger widerstehen, aber ich opferte deiner Seele in jeder Woche das Leben eines Weißen.“
„Warum eines Weißen?“
„Ich folgte deiner Spur, bis ich sie verlor; aber ich erfuhr, daß deine letzten Feinde Bleichgesichter gewesen waren.“
„Du hast recht gehört; ich werde es dir erzählen.“
„Von heute an wirst du Häuptling sein!“
„Nein!“
„Du bist der Ältere!“
„Du bist so tapfer wie ich!“
„Aber nicht so weise und erfahren!“
„Das sagst nur du, mein Bruder!“
„Hast du es nicht selbst gesehen und gesagt, heute, als ich, um zwei oder drei einzelne Feinde zu töten, nicht sah, in welcher Gefahr sich meine Krieger befanden?“
„Du warst tapfer und unwiderstehlich; das reißt den Krieger fort. In Zukunft wird meine Lehre dir stets vor Augen sein.“
„Aber du darfst kein gewöhnlicher Krieger sein!“
„Ich habe jetzt noch viel zu tun. Ich muß meine Freunde begleiten und mit ihnen kämpfen. Wenn ich zurückkehre, werde ich einen anderen Stamm finden, welcher mich bittet, sein Häuptling zu sein.“
„Mein Bruder, du bist nicht nur tapfer und weise, sondern dein Herz ist das Herz eines guten Bruders. Du willst mich nicht kränken; dafür wird mein Leben dir gehören bis zum letzten Hauch desselben.“
Sie umarmten sich abermals innig und aufrichtig.
Das waren zwei sogenannte ‚Wilde‘. Würde wohl in unseren ‚zivilisierten‘ Staaten ein älterer Bruder sich so frisch und frei, so selbstlos dazu verstehen, dem Nachgeborenen alle seine Rechte abzutreten?
Es entstand eine Pause, während welcher die beiden ‚Rothäute‘ sich ihren stillen Gefühlen hingaben. Dann sagte ‚Bärenherz‘:
„Als ich fortging, lebte auch meine Mutter. Sie war die beste Mutter, so weit die Dörfer und Jagdgründe der roten Männer reichen.“
„Du redest die Wahrheit. Ich habe viele Mütter gesehen, aber keine wie sie.“
„Auch sie ist zum großen Geist zurückgekehrt?“
„Nein.“
Da schlug ‚Bärenherz‘, der große Apachenhäuptling, im kindlichen Jubel und überquellender Freude die Hände zusammen und rief fragend:
„Sie lebt noch?“
„Sie lebt.“
„Ist's wahr?“
„So wahr wie mein Schwur!“
Da sprang ‚Bärenherz‘ empor, breitete seine Arme gegen Westen aus und rief:
„O Mutter, o Mutter, meine Mutter!“
Dann kniete er neben dem Bruder nieder, küßte ihn auf Stirn, Mund, Wangen und Augen und sagte:
„Diese
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