46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
stand auf meiner Fahne geschrieben, und ich habe mit dieser Fahne fliehen müssen bis nach Paso del Norte, dem äußersten Winkel des Landes. Ein anderer hätte abgedankt. Ich nicht, denn mein Recht ist stark genug, es mit dem französischen Usurpator aufzunehmen. Ich lasse meine Fahne wehen; und werde wiederkommen, schneller als ich gegangen bin, um sie in Mexiko, der Hauptstadt, aufzupflanzen, zum Zeichen, daß jede Nation sich ihre Geschichte selbst machen darf und daß hier auf dem westlichen Kontinent es noch offene Augen gibt, die durch französisches Flitterwerk nicht geblendet werden können.“
Warum sprach der berühmte, charakterfeste Mann solche Worte zu dem einfachen Mann, der doch nur ein Ignorant genannt werden mußte?
Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, auch an einem nicht dazu geeigneten Ort. Juarez hatte die Last des Unglücks getragen, des unverschuldeten Unglücks. Er muß, will man unparteiisch sein, der bedeutendste Mann genannt werden, den bisher die rote Rasse hervorgebracht hat. Er hatte es treu und gut mit seinem Volk gemeint. War es ein Wunder, daß während seines unverschuldeten Exils sich Gedanken in ihm angesammelt hatten, welche nun das Bestreben zeigten, nach außen hin zu explodieren?
Er reichte dem Wirt die Hand und sagte mit einer scherzhaften Wendung:
„Ihr seht, Señor Pirnero, daß nicht alle Diplomaten glücklich sind. Laßt Euch aber davon nicht abhalten, ein guter Politikus zu sein, denn wenn man es wirklich ehrlich meint, trägt man doch stets noch den Sieg davon.“
„Ja, wir werden siegen!“ rief der Wirt. „Ihr in Mexiko und ich mit meiner Heiratsgeschichte! Wir werden siegen, denn Ihr nehmt Euch meiner und ich nehme mich Eurer an; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“
„Gut so! Nun geht. Sendet mir Essen und Trinken, und wenn meine Beamten nach mir fragen, so sagt ihnen, in welchem Zimmer ich bin.“
Der Wirt eilte hinab, als ob er Flügel hätte. Resedilla mußte in die Küche, um für den Präsidenten zu sorgen, während ihr Vater das Äußere übernahm. Erst gegen Abend wurde diesen beiden freie Zeit geboten, da alle hinauseilten, um die Trauerfeierlichkeiten der Apachen mit anzusehen, welche in dieser Weise noch niemals beobachtet worden waren.
Da saß der Alte an seinem Fenster und trank einen Julep als Herzstärkung. Resedilla ging ab und zu, um das Trinkgeschirr zu ordnen.
Eben stand sie wieder in seiner Nähe, um einige Gläser fortzunehmen; da sagte er:
„Resedilla!“
„Vater?“ antwortete sie.
„Weißt du vielleicht, was ein Gouverneur ist?“
„Ja.“
„Nun was?“
„Der oberste Regent eines mexikanischen Staates.“
„Das hast du gut gesagt, meine Tochter! Aber weißt du auch, daß ein Gouverneur ein sehr feiner Diplomat und gewiegter Politikus sein muß?“
„Das läßt sich denken!“
„Und daß nur die Männer solche Ämter erhalten, welche als tüchtige Diplomaten gelten?“
„Natürlich!“
„Nun also; sieh mich einmal an!“
Er machte eine sehr ernste, feierliche Miene. Sie blickte ihn sehr neugierig an.
„Nun?“ fragte er.
„Was?“
„Wie sehe ich aus? Wie komme ich dir in diesem wichtigen Augenblick vor?“
Sie kannte seine Schwäche sehr genau; darum antwortete sie, das Richtige ahnend:
„Wie ein großer Diplomat, Vater.“
„Wirklich? Ja? Nun siehst du, Resedilla, du hast dich jetzt als eine Diplomatin erwiesen. Diesen diplomatischen Scharfblick hast du von mir, infolge der Abstammung des Vaters auf die Tochter. Aber höre weiter! Was würdest du zum Beispiel zu dem Staat Chihuahua sagen?“
„Hm!“ brummte sie mit einem möglichst wichtigen Gesicht, da sie doch unmöglich wissen konnte, auf welches Ziel im Mond er loszusteuern im Begriff stand.
„Oder zu dem Staat Cohahuila?“
„Hm!“
„Diese beiden Staaten liegen mir natürlich am bequemsten, da ich meine Besitzungen im Norden des Landes habe. Einer von beiden ist mir gewiß!“
„Gewiß? Als was?“
„Als was? Nun, als untertäniges Gebiet. Kannst du noch dein Französisch?“
„Ja.“
„Das ist gut. Du wirst mir von jetzt an täglich einige Stunden Unterricht geben.“
Jetzt ahnte sie beinahe, welche Ungeheuerlichkeit zum Vorschein kommen werde.
„Französischen Unterricht? Wozu?“
„Hast du denn noch nicht gehört, daß die hohen Diplomaten in französischer Sprache miteinander verkehren?“
„Freilich!“
„Nun, der Gouverneur eines Staates gehört unter diese hohen Leute!“
„Willst du damit sagen,
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