46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
ganz deutlich, was geschah. Der Kapitän öffnete vorsichtig die Tür. In dem Zimmer brannte ein Nachtlicht, und Resedilla lag so, daß der Lauscher sie erblicken konnte.
Sie hatte, in ihrer Kammer angelangt, noch eine lange Zeit mit Weinen und trübem Sinnen zugebracht und sich dann schlafen gelegt. Erst vor wenigen Minuten hatte der Schlummer sie übermannt. Sie trug ein dünnes, weißes Nachthemd, welches ihre schönen Arme bis herauf zur Achsel sehen ließ; die eine Schleife war nicht zugeknöpft, sodaß das Gewand sich geöffnet hatte und die ruhigen Atemzüge der Schlafenden wie auf weißem Marmor sehen und zählen ließ. So schön hatte sich der Kapitän dieses Mädchen denn doch nicht gedacht; er zog die Tür leise hinter sich zu und huschte an das Bett.
Im Nu war Gerard jetzt an der nun wieder verschlossenen Tür. Er befeuchtete den Drücker mit Speichel, um das verräterische Geräusch zu vermeiden, drehte um und öffnete eine schmale, kleine Lücke, durch welche er alles beobachten konnte.
Der Kapitän stand dicht am Lager, versunken in dem Anblick der Schönheiten, in denen er sich berauschen wollte. Er konnte sich nicht halten, er legte den Mund auf ihre Lippen und drückte einen Kuß darauf.
„Das bezahlst du mir!“ dachte draußen der Jäger. „Dieser eine ist dir gestattet, ein zweiter aber nicht mehr!“
Resedilla erwachte, aber ehe sie noch ganz zum Bewußtsein kam, hatte ihr der Kapitän die Hand so fest auf den Mund gelegt, daß sie nicht schreien konnte.
„Keinen Laut, Señorita!“ warnte er halblaut. „Sonst muß ich Euch töten!“
Sie blickte ihn mit weit aufgerissenen, angsterfüllten Augen an und wagte nicht, sich zu wehren.
„Hört Ihr, was ich sage, so schließt zweimal schnell die Augen“, gebot er.
Sie gab das von ihm geforderte Zeichen.
„Wenn Ihr mir versprecht, nicht zu rufen, gebe ich Euch den Mund frei. Wollt Ihr?“ Sie bejahte durch das vorhin angegebene Zeichen, und er nahm die Hand von ihrem Mund.
„Was wollt Ihr?“ fragte sie, vor Scham und Angst erglühend.
„Euch, nur Euch!“ antwortete er.
„Wie seid Ihr hereingekommen?“
„Durch den Drücker einer anderen Tür.“
„Geht, ich bitte Euch! Geht um Gottes willen!“
„Nicht eher, als bis ich deine Liebe habe, du Herrliche!“
Er wollte sich zu ihr niederbeugen, sie aber stieß ihn von sich. Da griff er in den Gürtel und zog sein Messer.
„Wähle!“ sagte er. „Liebe oder Tod!“
„Tod!“ antwortete sie.
„Ja, Tod!“ sagte da eine halblaute Stimme hinter ihnen.
Der Kapitän fuhr erschrocken herum und erblickte den jetzt hart vor ihm stehenden Präriejäger. Er fuhr zurück und zückte das Messer; in demselben Augenblick aber erhielt er von Gerard einen Schlag, der ihn betäubt zu Boden warf. Das war alles so blitzschnell geschehen, daß das Mädchen gar keine Zeit gefunden hatte, einen Laut auszustoßen. Jetzt stieß sie mit unterdrückter Stimme hervor:
„Señor Gerard! Mein Gott, was ist das?“
Sie hüllte sich in die Decke hinein, daß nur noch das angsterfüllte Gesicht hervorblickte. „Fürchtet Euch nicht vor mir, Señorita“, beruhigte sie der Gefragte in bittendem Ton. „Ich bin nicht gekommen, Euch ein Leid zu tun, sondern Euch beizustehen.“
„Ist das wahr?“ flüsterte sie, befreit aufatmend.
„Ich schwöre es Euch zu bei allem, was mir und Euch heilig ist! Ich habe großes Unrecht getan, aber so einen Schurkenstreich könnte ich niemals begehen.“
„Ich danke Euch! Welch ein Schreck! Welch eine Angst! Aber wie kommt Ihr dazu?“
„Ich belauschte im Wald zwei französische Offiziere, von denen der eine wettete, daß er Euch heute Nacht besiegen werde. Ich eilte herbei, um Euch zu helfen. Erst hatte ich den Gedanken, ihn durch das Fenster zu erschießen, aber das wäre nicht klug gewesen, denn man hätte geglaubt, er sei als begünstigter Liebhaber bei Euch eingetreten und von einem Eifersüchtigen erschossen worden, darum schlich ich mich in das Haus, um diese Angelegenheit in voller Ruhe abzumachen.“
„Aber man wird trotzdem erfahren, daß Männer bei mir gewesen sind.“
„Kein Mensch wird es erfahren. Laßt mich sorgen, Señorita!“
„O Gott, wie schlimm wird es uns ergehen, da der eine Franzose ist. Also wirklich?“
„Ja, er ist Kapitän.“
„Und bei uns gab er sich für einen Goldsucher aus.“
„Er war als Spion bei Euch; weiter darf ich Euch nichts sagen.“
„Aber was geschieht mit ihm? Ihr habt ihn erschlagen!“
Die
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