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46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

Titel: 46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Aufregung und Angst, in der sie sich befand, ließ sie alle Äußerlichkeiten vergessen. Sie streckte die Arme wieder hervor und richtete sich auf, ohne daran zu denken, daß die Augen des Geliebten auf ihr ruhten.
    „Er ist nicht tot; er wird wieder zu sich kommen.“
    „Schafft ihn nach seinem Zimmer, Señor! Ich werde Euch leuchten!“
    Er besann sich einen Augenblick; dann ging über sein Gesicht ein Lächeln, welches sie sich nicht zu deuten bemühte; es war das Lächeln eines Richters, welcher nach dem Gesetz handelt: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
    „Gut“, sagte er, „ich werde Eurem Befehl gehorchen und ihn in sein Zimmer bringen. Ihr aber sollt liegenbleiben; Ihr dürft Euch nicht um mich und ihn bemühen.“
    Es lag in seinem, wenn auch leisen Ton ein Etwas, welchem sie nicht zu widersprechen wagte.
    „Tut, was Ihr wollt, Señor, und laßt es niemanden erfahren!“ bat sie. „Nehmt ihn auf. Dort liegt noch sein Drücker. Gute Nacht, Señor Gerard!“
    Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er konnte nicht anders, er nahm sie und drückte sie an das Herz und an die Lippen. Sie ließ es ruhig geschehen und fügte hinzu:
    „Ihr habt mich heute vor großer Schande bewahrt; darf ich Euch um etwas bitten?“
    „Sprecht, Señorita!“
    „Laßt uns nicht auf immer voneinander scheiden!“
    „Ihr sprecht diesen Wunsch nur aus Dankbarkeit aus?“
    „Nein“, antwortete sie mit dem Ausdruck der Wahrheit.
    „Oder aus Mitleid?“
    „Auch nicht!“
    „Das ist wahr, Señorita?“
    „Ich schwöre es Euch zu!“
    „So danke ich Euch! Ihr werdet mich also wiedersehen.“
    Sein Auge leuchtete auf wie unter dem ersten Strahl eines unendlichen Glückes. Sie bemerkte dies, und eine tiefe Röte ergoß sich über ihr Gesicht. Dann fragte sie:
    „Wollt Ihr mir etwas verzeihen?“
    „Was?“
    „Daß dieser Mann mich hier gesehen hat!“
    „Ja, wenn Ihr auch mir verzeiht, daß ich Euch so gesehen habe.“
    Jetzt erst besann sie sich auf ihre gegenwärtige Lage; sie erglühte abermals, aber dennoch streckte sie ihm den schönen, schneeweißen, wie von einem Künstler gemeißelten Arm entgegen und sagte:
    „Da nehmt meine Hand, ich zürne Euch nicht. Ihr seid ja mein Retter, und ich habe Vertrauen zu Euch.“
    „Vertrauen? Vertrauen? Ist das wahr, Señorita?“
    „Ja.“
    „Vertrauen, Vertrauen, o mein Gott!“ stieß er mit einem tiefen Atemzug hervor. „Ihr wißt alles, alles und schenkt mir Vertrauen! Das gibt mir neues Leben!“
    Er sank an ihrem Bett nieder, ergriff ihre beiden Hände und senkte seine Stirn in dieselben. Sie stützte sich auf den Ellbogen, näherte ihr Gesicht seinem Kopf und flüsterte:
    „Ja, Señor Gerard, ich vertraue Euch! Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten. Ich bin überzeugt, daß Ihr niemals wieder etwas Böses tun könnt.“
    „Nie, nie!“ schluchzte er.
    Nichts ergreift das Herz eines Weibes tiefer, als die Träne eines starken, charakterfesten Mannes. Auch ihre Augen füllten sich sofort mit Wasser. Ihre Seele zitterte unter einer heiligen Regung, und sie bat mit leiser Stimme: „Seht mich einmal an, Señor! Erhebt Euer Angesicht zu mir!“
    Er gehorchte ihr. Da senkte sie ihren Kopf herab und gab ihm einen Kuß auf die Stirn und einen zweiten auf den Mund; dann fuhr sie fort: „Ich habe noch niemals einen Mann geküßt. Denkt, Gott habe Euch diese Küsse gesandt zum Zeichen, daß er versöhnt sei und Euch vergeben habe! Laßt Euer Leben nicht mehr so trübe und so dunkel sein, und faßt Glauben und eine feste, freudige Zuversicht zum Himmel, der mein Gebet erhören und Euch begnadigen wird! Gute Nacht!“
    Er hatte ihr zugehört, wie man einem Engel zuhört. So verklärt wie sein Gesicht mußten die Züge der Hirten gewesen sein, als sie die Verkündigung vernahmen: „Euch ist heute der Heiland geboren!“
    „Gute Nacht!“
    Mehr konnte er nicht hervorbringen. Er neigte noch einmal sein Gesicht in ihre weichen Hände und nahm dann den Kapitän vom Boden auf, um mit ihm das Zimmer zu verlassen. Er trug ihn nach der Gaststube, wo der Offizier sein Licht hatte brennen lassen; dann ging er wieder hinaus, um den geliehenen Drücker an seine Stelle zu bringen.
    Als er nun zu dem Besinnungslosen zurückkehrte, band er diesem die Arme und Beine fest zusammen, schlang sich den Lasso vom Leib und ließ jenen damit durchs Fenster ins Freie hinab; auch er selbst folgte dann nach.
    Nun ging er nach dem Stall. Es brannte kein Licht darin, dennoch gelang es ihm, das Pferd

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