46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
jetzt in Mexiko befindet, ist ein Mörder!“
„Wer gibt dir das Recht, mich zu töten?“
„Das Präriegesetz. Du vergißt, auf welchem Boden wir uns befinden. Du hast gestern die Waffe nach mir gezückt; dein Leben ist mein Eigentum auch ohne die Gründe, welche ich vorhin nannte. Bete!“
„Ich mag nicht“, sagte der Kapitän trotzig. „Du wirst es nicht wagen, mir das Leben zu nehmen.“
„Du wirst sofort das Gegenteil erfahren. Da du nicht beten willst, so mag Gott deiner armen Seele gnädig sein. Eins – zwei – drei!“
Bei ‚drei‘ krachte der Schuß; die Kugel fuhr dem Gefangenen mitten durch die Stirn; er sank als Leiche nieder, der gestern noch lebenslustig war.
Jetzt untersuchte Gerard die Kleider des Toten. Er fand weder eine Brieftasche, noch sonst Geschriebenes, wohl aber Uhr, Börse und Ringe; das alles ließ er stecken. Nun betete er ein stilles Vaterunser, gab das Pferd des Toten frei, sprang auf das seinige und brauste davon. Sein Gewissen machte ihm nicht den geringsten Vorwurf.
Dieser einstige Schmied war im Laufe der Jahre ein ausgezeichneter Präriemann geworden. Er saß auf seinem Pferd bis gegen Mittag, dann fing er sich von der ersten besten Herde, an welcher er vorüberkam, ein zweites ein. So ging es immer im Galopp fort, bis er am nächsten Tag, kurz vor Anbruch des Abends Chihuahua vor sich liegen sah.
Er durfte sich weder bei Tag in die Stadt wagen, noch des Abends offen durch die ausgestellten Posten gehen, sondern er mußte sich mit Lebensgefahr einschleichen. Darum band er sein Pferd im Wald fest und wartete die völlige Dunkelheit ab. Dann näherte er sich der Stadt, in welcher er jedes Haus und jeden Schlich kannte.
Nur einem solchen Mann wie ihm konnte es gelingen, durch die Postenketten und über die aufgeworfenen Befestigungen hinwegzugelangen. Bald befand er sich an einer Reihe von Gärten, die ihm alle bekannt waren. Er voltigierte vorsichtig über den Zaun eines derselben, duckte sich zur Erde nieder und stieß dreimal den Ruf des schwarzköpfigen Geiers aus, wenn er aus dem Schlaf erwacht. Dieses Zeichen mußte nicht gehört worden sein, denn er mußte es wiederholen, ehe er ein Pförtchen gehen hörte.
Eine dunkle Frauengestalt kam langsam herbei, blieb in kurzer Entfernung stehen und fragte mit unterdrückter Stimme:
„Wer ist da?“
„Mexiko“, antwortete er.
„Und wer kommt?“
„Juarez.“
„Warte ein wenig.“ Nach diesen Worten entfernte sich die Gestalt und kehrte erst nach Verlauf von wohl einer Viertelstunde zurück. Jetzt kam sie ganz zu ihm heran und sagte: „Hier ist das Gewand; den Weg habe ich frei gemacht.“ Sie reichte ihm eine Mönchskutte, welche er über sein Gewand zog, und sagte dabei: „Heute müßt Ihr Euch doppelt in acht nehmen.“
„Warum?“
„Sie hat den Major zu sich bestellt.“
„Das ist mir lieb. Ist er bereits bei ihr?“
„Nein. Er kommt erst nach zwei Stunden.“
„Gut. Hier ist meine Büchse, bewahre sie gut auf.“
„Wann kehrt Ihr zurück?“
„Das weiß ich noch nicht. Ich werde dich wecken, wenn ich komme.“
Er schlug die Kutte um sich zusammen und schritt nach links davon. Dort befand sich in der Mauer eine kleine Tür, welche bereits offenstand. Er trat in einen Hof, wo rings auf Säulen ein Gang angebracht war. Eine schmale Stiege führte hinauf, da wo der Hof am dunkelsten war. Er stieg sie empor und fand dort oben in einem Winkel eine Holztür geöffnet. Hier trat er ein, ging im Finstern abermals durch einige bereits geöffnete Türen und stand endlich vor einer, welche verschlossen war. Er klopfte an, und ein lautes, von einer feinen Silberstimme gerufenes „Herein!“ antwortete. Zugleich wurde ein Riegel zurückgeschoben und die Tür öffnete sich.
Ein glänzendes, blendendes Lichtermeer flutete ihm entgegen und mitten in diesem See von Glanz und Licht stand eine Frauengestalt, deren Schönheit ganz unmöglich zu beschreiben war. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich jeder, der sie in dieser Toilette gesehen, von ihr niedergeworfen hätte.
Ein beispiellos reiches, Schwarzes Lockenhaar war auf einem wahren Feenköpfchen zu einer hohen Krone geordnet und flutete dann noch immer über die Hüften hernieder, und dieses herrlichen Schmuckes wert war jeder einzelne Teil der hohen königlichen Gestalt. Keine Maria Theresia, Katharina oder Kleopatra, keine Melusina oder Märchenkönigin war mit diesem Weib oder Mädchen zu vergleichen, welches eine Toilette trug, so einfach und
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