46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
nicht?“ fragte sie, seine Bescheidenheit bewundernd.
„Nein. Wenn so ein kleiner Kerl, wie ich bin, auf dem Pferd sitzt, so läuft das Tier ja, als ob es gar keinen zu tragen hätte. Man wird nur so nebenbei mit fortgeschleppt, das ist alles.“
„So, das ist alles? Hört, Señor André, Ihr seid ein sonderbarer Kauz! Erstens seid Ihr gar nicht so klein, wie Ihr Euch macht. Ich zum Beispiel bin höchstens um einen halben Zoll länger als Ihr. Und zweitens weiß ich ganz genau, was Ihr geleistet habt. Wißt Ihr noch, was ich Euch versprochen habe?“
Der wetterfeste Jäger errötete wie eine Nähmamsell.
„Oh, Señorita, das war ja nur Euer Spaß“, sagte er.
„Nein, ich versichere Euch, daß es mein Ernst war.“
„Aber die Rettung ist ja noch gar nicht da!“
„Sie ist in der Nähe und wird sicher kommen. Ich halte mein Wort. Ihr sollt den versprochenen Lohn haben.“
Er wich einen Schritt zurück, streckte die Hände vor und sagte:
„Ihr seid so außerordentlich lieb und gut, Señorita; aber ich darf eine solche Güte unmöglich annehmen!“
„Warum nicht?“ fragte sie, auf ihn zutretend.
„Seht mich an und Euch dagegen!“
„Oh, das Kleid tut nichts, Señor; auf das Herz kommt es an. Und Euer Herz ist wohl besser und reiner als das meinige.“
Sie streckte die Hand nach ihm aus, wie um die seinige zu erfassen, da aber wich er erschrocken abermals einen Schritt zurück.
„Mein Gott, Señorita!“ rief er.
Unterwegs hatte er sich geschworen, daß er die drei Küsse erhalten müsse. Er hatte bei dem wilden Jagen Leben und Gesundheit gewagt; er hatte ein Pferd tot und das andere zuschanden geritten. Und nun er das Ersehnte erhalten sollte, schien es ihm ganz unmöglich, es in Empfang zu nehmen.
„Wollt Ihr mich beleidigen?“ fragte sie.
„O nein, gewiß nicht!“ beteuerte er.
Da blickte sie ihn mit einem halb lustigen, halb forschenden Ausdruck an, und fragte:
„Ah, Señor André, Ihr habt wohl noch niemals geküßt?“
„Hol's der Teufel, niemals!“ antwortete er.
„Auch diejenige nicht, wegen der Ihr Euch das Rattengift kauftet?“
„Auch die nicht.“
„Und seid auch nicht geküßt worden?“
„Von meiner Mutter einige Male, weiter wüßte ich niemand.“
„Drum ist Euch so angst und bange dabei!“ lachte sie. „Jetzt werde ich Euch aber zeigen, daß es einem gar nicht Angst zu werden braucht. Kommt doch einmal hierher auf diesen Stuhl!“
Sie faßte ihn bei beiden Händen und zog ihn nach einem Stuhl, auf den er sich setzen mußte. Er gehorchte dieses Mal ohne Widerstreben.
„So, nun habt jetzt keine Angst, ich bin nicht gar zu schwer.“
Ein mächtiger Schreck durchzuckte ihn, und es war ihm wie im Traum, als das schöne Mädchen sich auf seinen Schoß setzte.
„Jetzt werde ich Euch den Arm um den Nacken legen, so wie es Eure Frau oder Braut machen würde. Das habe ich Euch ja versprochen.“
Was sie sagte, das tat sie auch. Sie legte den vollen, warmen, nackten Arm um seinen Hals, und lehnte sich so fest an ihn, das er das Wogen ihres Busens und den Schlag ihres Herzens hörte. Er schloß die Augen.
„Señorita!“ sagte er.
Da bog sie sich zu ihm herab und flüsterte ihm zu:
„So ist's recht; schließt die Augen. Die Seligkeiten der Liebe darf man nicht sehen, sondern nur fühlen. Jetzt aber kommt die versprochene Belohnung. Eins!“
Ihre Lippen legten sich weich und warm auf seinen Mund.
„Zwei!“
Sie gab ihm den zweiten Kuß. Es war ihm, als ob er träumte, ja, als ob er geradezu im Himmel sei. Die Würze ihres Atems, das Parfüm ihres Haares und ihres Gewandes waren ihm Wohlgerüche, wie er sie in seinem ganzen Leben gar nicht kennengelernt hatte. Er hätte aufjauchzen mögen vor Wonne.
„Drei!“
Dabei legte sie beide Arme um ihn und drückte ihn an sich. Das Jäckchen, welches sie heute Abend trug, verschob sich dabei, und seine Wange kam an ihren Busen zu liegen. Das Atmen wurde ihm schwer; er verhielt sich so still und bewegungslos, wie ein kleines Kind, welches an der Brust der Mutter schläft.
„So“, sagte sie endlich. „Jetzt habe ich mein Wort gehalten. Seid Ihr zufrieden mit mir, Señor?“
„Oh, Señorita!“ war alles, was er antworten konnte.
„Ich verstehe Euch“, sagte sie ernst. „Ihr seid glücklich, und das ist es, was ich wollte. Da man aber mit der Erfüllung eines Versprechens nicht zu geizig sein darf, so sollt Ihr noch einen Kuß haben, freiwillig gegeben, und dann wollen wir von den Dingen sprechen,
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