47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Aura um den Schrein sah, dann war da vielleicht früher einmal mehr gewesen ... doch jetzt war dort nur ein bescheidener Schrein am Straßenrand, wie man sie oft sah. Aber die anderen hatten nicht so eine Aura. Selbst wenn es der Schrein von Kiras Ahnen war, blieben Heuhaufen doch Heuhaufen. Sie waren nichts anderes als eine willkommene Deckung und boten denjenigen, die auf einer Mission hierhergekommen waren, die Deckung, um diese Mission und ihre heilige Pflicht zu erfüllen. Er sah eine Gestalt, die sich bereits am Schrein befand und im flackernden Kerzenlicht betend kniete – genau, wie Isogai vorhergesagt hatte. Es war Kira, da war Kai sich sicher, weil er die vertrauten Umrisse einer
daimyō
-Robe sah.
Oishi stand in seiner Nähe am Waldrand und beobachtete ebenfalls den Durchgang. Leise erteilte er den Männern um sich herum Befehle, auszuschwärmen, um postierte Wachen oder im Hinterhalt liegende Truppen zu suchen. Trotz Isogais Behauptung, dass Kira sich auf die Sicherheit der Geheimhaltung und der Dunkelheit verließ und deshalb nur eine Handvoll Wachen zu seinem Schutz mitbrachte, hatte Oishi offensichtlich Sun Tzus
Kunst des Krieges
gelesen. Er nahm an, dass das, was man dem örtlichen
bakufu
mitgeteilt hatte, nicht unbedingt der Wahrheit entsprach.
Anpassungsfähigkeit war die beste Taktik
.
Er versammelte die Handvoll Männer, die er auserwählt hatte, um den direkten Angriff auf Kira auszuführen, und sagte den letzten Ronin: »Bleibt zurück und haltet Ausschau nach Kiras Männern.« Kiras Leben und Kopf zu fordern, reichte nicht aus: Jemand musste überleben, um Fürst Asanos Grab zu erreichen.
Dann gab er dem harten Kern seiner besten Kämpfer ein Zeichen, und Kai folgte ihm aufs Feld hinaus.
Isogai ging mit Oishi vorneweg. Kai und die anderen verteilten sich auf dem gefrorenen Boden hinter ihnen.
Der kräftige Nachtwind rauschte in den Stoppeln auf dem Feld und half ihnen, die von ihrer Rüstung und ihren Schwertern verursachten Geräusche zu verbergen, während sie sich wie windzerzauste Schatten von einem tiefdunklen Fleck zum anderen durch die Schneise bewegten.
Die Männer gingen auf alle viere, als sie sich dem Schrein näherten, und dann auf den Bauch. Kiras Gestalt war für alle jetzt deutlich sichtbar. Seine Aufmerksamkeit war vollkommen auf seine Gebete gerichtet. Zweifellos bat er die Götter darum, dass alles, wofür er intrigiert, betrogen und zerstört hatte, in zwei Tagen Früchte tragen würde.
Und das würde es ...
Wenn ihm nicht jemand heute Nacht Einhalt gebot
.
Als die Ronin sich näherten, sahen sie zwei Wachen – nur zwei – in Kiras Nähe stehen. Die Männer warteten in respektvollem Abstand und hielten die Zügel seines und ihrer Pferde.
Kai hob leicht seinen Kopf, als der Wind stärker wurde, wie Stimmen im Feld flüsterte und ihm mit seinem kalten Atem Gänsehaut auf seiner ungeschützten Haut verursachte. All seine Sinne waren geschärft. Noch immer wurde er das Gefühl nicht los, dass eine namenlose Energie sich regte – eine Macht, die hier nichts zu suchen hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er die dunklen Gestalten Kiras und der beiden Wachen so deutlich wie bei Vollmond, obwohl nicht einmal die letzte Spur des abnehmenden Monds sichtbar war. Er sah das schwache Glänzen der
tengu
-Schwerter, die Bashō und Yasuno bereits in ihren Händen hielten. Er sah, wie Hazama das Schwert umklammerte, das einst Oishi gehört hatte, und wie Oishi Fürst Asanos
tantō
hervorzog, um endlich Rache zu nehmen.
Alles war in bester Ordnung
. Alles lief genau nach Plan. Kira gehörte ihnen, egal was geschah.
Warum hatte er dann das Gefühl, als wäre eine Katastrophe so nah, dass er sie bei der Kehle packen könnte, wenn er nur wüsste, wo er sich hindrehen musste?
Oishi und Isogai gingen noch immer voraus und trennten sich dann, um sich in entgegengesetzte Richtungen zu begeben. Sie schlichen sich in einem Bogen um die letzten Heuhaufen der Reihe an die Wachen heran und zerrten sie in die Dunkelheit. Beide Wachen waren tot, noch bevor sie ein Geräusch von sich geben konnten. Oishi und Isogai standen schweigend auf und gingen auf Kira zu, der noch immer vor dem Schrein kniete.
Kai stand gemeinsam mit den anderen auf. Der Tod der Wachen war das Zeichen, vorzurücken. Doch als er sich nach vorn bewegte, flammte die gedämpfte Aura um den Schrein herum auf, als würde sich die Macht, von der er dachte, sie sei unter Äonen begraben, plötzlich in der Gegenwart
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