47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
noch einmal mit den Fingernägeln über die glänzenden Risse.
Mika kniete in dem formellen Hochzeitskleid, das Kira für sie ausgesucht hatte, in ihren Gemächern. Dienerinnen trugen sorgfältig ihre Schminke auf. Der Kimono und die äußeren Roben bestanden aus äußerst weicher, gesteppter Seide und wunderschönem Satinbrokat und waren mit Fell gesäumt, um sie warm zu halten. Jedes Stück und jede Lage waren erlesen gestaltet und bestickt ... und alles in Weiß gehalten.
Natürlich
, dachte sie. Für eine Hochzeit in diesem schneereichen Land hatte Kira ein Brautkleid in
shiromuku
ausgewählt. Der Name war Programm: »reines Weiß«. Es passte hervorragend zu dem Reich, das Kira beinahe so sehr hasste, wie sie es tat, das ihn aber zu dem Mann gemacht hatte, der er war.
Gleichzeitig erkannte sie, dass die traditionelle Symbolik des
shiromuku
auch dazu gedacht war, ihr eine persönliche Botschaft zu senden: Das Weiß ließ die Braut wie unberührte Leinwand erscheinen, bereit, die Gewohnheiten und Erwartungen ihres Mannes zu erlernen und ihnen pflichtbewusst zu gehorchen.
Und es gab noch einen Grund, warum sie weiß tragen sollte. Dies war ihr sofort als gleichermaßen unglaublich passend und unerträglich grausam aufgefallen. Sie war nicht sicher, ob Kira das wirklich selbst und absichtlich geplant hatte:
Weiß war die Farbe des Todes
. Ihr Vater hatte in Weiß gekleidet
seppuku
begangen und war in Weiß gekleidet eingeäschert worden. Die Trauernden bei seiner Beerdigung hatten ebenfalls Weiß getragen.
Sie dachte an den
uchikake
ihrer Mutter – den traditionellen Überkimono, der ihr von ihrer Urgroßmutter vermacht worden war. Sie hatte immer erwartet, diesen zu tragen, wenn sie heiratete. Als junges Mädchen hatte sie ihn immer hervorgeholt, sich darin eingekuschelt wie in die Arme ihrer Mutter und vor sich hin geträumt. Die Grundfarbe und die Säume waren in hellem Rot, der Farbe Akos, des Lebens ... und sein Brokat und die Stickereien waren mit goldenen und silbernen Fäden durchwoben, die farbenfroh glitzernde Bilder von Pinien, Chrysanthemen, Vögeln und fließendem Wasser bildeten.
Nachdem Kai in ihr Leben getreten war, hatte sie in ihren Gebeten die Götter angefleht, sie mögen ihrem geliebten
tennin
eines Tages die Chance eröffnen, ihrem Vater gegenüber seinen Mut durch eine so beeindruckende Großtat zu beweisen, dass ihr Vater ihn adoptierte. Dann würden sie sich verloben ...
Mika schnappte laut nach Luft und zuckte vor ihren Dienerinnen zurück, als dieser unsichtbare, mit Trauer vergiftete Pfeil ihre geduldige Resignation durchbrach.
Sie ballte in den langen Ärmeln der äußeren Robe ihre Fäuste. Die Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen und ihre Arme zitterten, während sie darum kämpfte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie erkannte, dass ihre Dienerinnen sich alle verbeugt hatten, bis sie mit der Stirn den Boden berührten, und sie um Vergebung anflehten, weil sie dachten, ihre Behandlungen hätten ihr Schmerz zugefügt. Sie wischte sich die verräterische Feuchtigkeit aus den Augen, wobei der weiße Gesichtspuder verschmierte, und fand geistesabwesend die Worte, ihnen zu sagen, sie mögen aufstehen, der Puder hätte in ihren Augen gebrannt und es sei nicht ihr Fehler.
Dankbar erhoben sie sich und wandten sich wieder ihrer endlosen Arbeit an ihrer Kleidung und ihrem Gesicht zu. Mit gemurmelten Ohs und Ahs priesen sie ihre Schönheit. Mika konnte sich nicht erinnern, dass sie vorher schon einmal so viel Begeisterung an den Tag gelegt hatten.
Sie kniete vor ihnen, während die formelle Schminke einer hochwohlgeborenen Dame ihr Gesicht so weiß wie ihr Kleid machte. Die Lippen und Wangen wurden künstlich gerötet, bis sie vor ihrem geistigen Auge zu Yukihime wurde, der kalten, leidenschaftslosen Göttin des Winters. Sie stellte sich vor, wie Yukihime ihren eigenen Willen zu Eis verwandelt hatte: hart, kalt und unbarmherzig ...
In der Abenddämmerung erhellte das farbenfrohe Leuchten vieler Laternen Burg Kirayama. Das Licht fiel auf den festlichen Schmuck und die kunstvollen, mit Blumen bedruckten
tobari
, die die Trostlosigkeit der Mauern verdeckten, und auf die zahllosen Origami-Blüten, die Pflaumen- und Kirschblüten darstellten und geschickt aus Papier hergestellt worden waren. Man hatte sie an die Äste der Bäume gebunden, die noch keine Blüten trugen. Den neu angekommenen Gästen schien es auf den ersten Blick, als hätten die Frühlingsblumen sich zur
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