47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
ihnen einer nach dem anderen und verpfändeten ihr Leben und ihr Blut ihrem Fürsten, wie es von Geburt an ihre Aufgabe gewesen war.
Oishi beobachtete, wie alle unterschrieben und beiseitetraten. Doch plötzlich sah er überrascht hoch, als sein Sohn vor ihm kniete.
Chikara griff nach Fürst Asanos
tantō
, und sein Vater streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten. Oishi sah seinen Sohn an, und Kai bemerkte den entsetzten Ausdruck in seinen Augen, den er schon beim Verlassen der
tengu
-Höhle gesehen hatte.
»Ein Vater sollte nicht leben und mit ansehen, wie sein Sohn vor ihm stirbt.« Oishi schüttelte den Kopf und hielt mit seiner Hand Chikaras fest.
»Ihr seid nicht mein Vater, Herr«, entgegnete Chikara und sah ihm direkt in die Augen. »Ihr seid mein Anführer. Ein Vater sollte nicht sterben, ohne gesehen zu haben, wie sein Sohn ein Mann wird.«
Oishi blinzelte, als hätte ihn ein
shakabuku
getroffen, ein Augenblick vollkommener Erkenntnis, der sich hinter den Worten seines Sohnes verbarg. Auf seinem Gesicht kämpften Bewunderung und Widerwillen, wobei keines der Gefühle wirklich die Oberhand gewinnen konnte. Schließlich nickte er, ließ Chikaras Hand los und erlaubte ihm, den Schwur zu unterzeichnen.
Kai sah zu, wie weitere Männer Chikara folgten, bis nur noch einige wenige darauf warteten, zu unterschreiben. Als Yasuno an den Tisch trat, schaute Horibe an der Reihe entlang, zählte die Männer und sagte: »Wir sind sechsundvierzig.«
»Nein ...«, sagte Yasuno, nachdem er seine Unterschrift geleistet hatte. Er wandte sich um und schaute Kai an, der seitlich neben dem Tisch kniete. »Halbblut?«
Kai wurde stocksteif und ballte seine Fäuste, als die plötzliche Überraschung zu Demütigung und Zorn wurde. Er starrte Yasuno an, dessen Gesichtsausdruck er nicht deuten konnte. Er verstand nicht ...
warum jetzt?
Doch Yasuno schaute ihn weiter direkt an und sagte laut und deutlich, damit jeder es hörte: »Verzeih mir, dass ich dir nicht dafür gedankt habe, das
kirin
besiegt und mein Leben gerettet zu haben.« Er holte tief Luft. »Ein Samurai schmückt sich nicht mit den Siegen anderer.« Dann verbeugte er sich tief.
Auf beiden Seiten wandten sich ihnen die Köpfe zu, und die Ronin starrten sie ungläubig an. Vollkommene ... und beredte Stille umgab sie.
Kai konnte es am wenigsten glauben. Er setzte sich auf und fühlte sich, als wäre sein Verstand plötzlich durch eine Falltür ins Bodenlose gefallen.
Yasuno hob wieder seinen Kopf und zog vorsichtig ein
wakizashi
aus seinen Gürtelschlaufen. Er hielt das Kurzschwert auf seinen Handflächen Kai entgegen. »Dies gehörte Bashō.«
Kai starrte erst ihn und dann das
wakizashi
in seinen Händen an. Er schüttelte den Kopf und schaute Yasuno verwirrt an.
»Ein Samurai trägt zwei Schwerter«, erklärte Yasuno leise und hielt ihm noch immer das Schwert hin. Zum ersten Mal sah Kai alles, was sich in Yasunos Geist abspielte:
Die Scham und Reue, das Verlangen nach Vergebung ... der Schmerz eines Mannes, der seinen besten Freund verloren hatte, nur um zu erkennen, dass dieser Freund ihn nicht allein zurückgelassen hatte – vorausgesetzt, er besaß die Weisheit, seine Unsicherheit zuzugeben und sich ehrenvoll zu verhalten
.
Langsam streckte Kai seine Hand aus und nahm das Schwert mit beinahe zitternden Händen an sich.
Unsicher hielt er das
wakizashi
am ausgestreckten Arm, hob seinen Kopf und sah zum Rest der versammelten Ronin.
Nicht nur Chikara, alle schauten ihn an, und ihre Augen
sahen
auch wirklich ihn. Er war jemand, der ihr Vertrauen und ihren Respekt gewonnen hatte – ein Mann, der ihnen als Gefährte und Ebenbürtiger willkommen war.
Seit fast eintausend Jahren war es ihr Recht, einen Mann zu ehren, indem sie ihn in den Rang eines Samurai erhoben, wenn sie der Meinung waren, er hätte es redlich verdient. Das Gesetz, das diese Tradition schriftlich festhielt, gab es erst seit knapp einem Jahrhundert.
Diese Männer unterschrieben gerade mit ihrem Blut einen Eid, der besagte, dass sie nicht länger willens waren,
giri
– also strengsten Pflichtgehorsam – zu akzeptieren, wenn es gegen das
ninjō
– ihr eigenes Gewissen – ging. Er sagte auch, dass einige Dinge es wert waren, für sie zu kämpfen und zu sterben, und dass sie bereitwillig ihr Leben gaben, um der höheren Gerechtigkeit zu dienen, die das
bushidō
ihnen auferlegte.
Diese Tradition besagte auch, dass es nur recht und billig war, den Wert und den Mut eines Mannes, den dieser
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