47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Kissen kniete, konnte er nur noch die Spitze ihres aufwändigen Hochzeitskopfschmucks sehen.
Oishi schaute durch das
tobari
und konnte Kira und Mika bestens sehen. Sie saßen direkt vor der Bühne. Auf der Bühne nahmen die Musiker ihre Plätze ein. Okuda, der Ronin, der Kawatake am ähnlichsten sah, trat an Oishis Seite und sah schlecht aus. Lieber hätte er einem
kirin
gegenübergestanden als einer Menge Fremder, während er vorgab, jemand anders zu sein. Er versuchte, sich an Worte zu erinnern, die nicht seine waren. Immerhin verdeckte Kawatakes Bühnenschminke die Blässe seiner Haut. »Ihr müsst schauspielern, als würde Euer Leben davon abhängen«, flüsterte Oishi. »Unser
aller
Leben«, fügte er hinzu und stupste Okuda sanft an.
Er fragte sich, wie die Musiker und Chormitglieder sich fühlten. Diese waren alle echte Darsteller, da keiner seiner Männer sich gut genug mit
Nō
auskannte, um ihre Plätze einzunehmen. Kawatake hatte aus dem
Heike monogatari
ein Stück über Krieger ausgewählt, das in einzelnen Episoden den Genpei-Krieg beschrieb. Die meisten Ronin hatten das Stück gesehen oder wenigstens die Geschichte gelesen, auf der es beruhte. Das Drama, an das die meisten im Publikum sich wahrscheinlich immerhin dunkel erinnerten, beinhaltete nur wenige poetische Reden und fast keinen Tanz. Oishi hatte die Absicht, es zu einem raschen Ende zu bringen, sobald seine Männer die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllt hatten.
Okuda trat mit der Haltung eines Samurai auf die Bühne hinaus, und Oishi sah erleichtert, dass nur auf kurze Entfernung offensichtlich war, dass dieser Mann kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen. Okuda faltete seine zitternden Hände vor seinem Körper, verbeugte sich tief vor Fürst Kira und dem Publikum und richtete sich wieder auf. Seine Blicke ruhten kurz auf der Dame Mika, als wäre ihr Anblick ein Leuchtfeuer, das man auf stürmischer See von einem Schiff aus sehen konnte. Dann schaute er respektvoll wieder zu Kira und sagte: »Fürst Kira, wir sind stolz darauf, Euch unsere Vorstellung als Hochzeitsgeschenk zu präsentieren.«
Das Stück begann.
Der Wächter, der gedacht hatte, er hätte gesehen, wie die Felsen – oder zumindest der Schnee – sich bewegt hatten, erreichte den Punkt der Mauer, wo sich die Brücke zum Schrein befand. Er ging hinaus auf die Brücke und sah auf die steil abfallenden Klippen hinunter, bis er den Ort sehen konnte, wo der Schnee sich seiner Meinung nach bewegt hatte.
Er spähte hinab und sah den Schatten nicht, der sich aus der noch tieferen Dunkelheit hinter ihm löste. Eine Hand legte sich über seinen Mund und ein Messer durchschnitt seine Kehle. Der Schatten stieß die Leiche des Manns über die Brückenmauer in den Abgrund darunter. Der Wächter spürte nicht mehr, wie er schließlich auf dem Boden aufschlug.
Der Schatten nahm konkrete Gestalt an und wurde zu Yasuno, der auf der Brücke stand und mit den Armen in Richtung der schneebedeckten Klippe winkte.
Auf der unberührten, weißen Oberfläche rührte sich zunächst nichts. Doch dann riss die weiße Schneedecke auf und erwachte zum Leben. Sie flog wie aufgeschreckte Geister im Wind davon, als dreißig Männer ihre Tarnung fortwarfen und auf sein Signal hin begannen, die Burgmauer hinaufzuklettern. Dabei bildeten sie eine menschliche Pyramide und fanden Halt für ihre Hände und Füße in den Spalten zwischen den groben Steinbrocken, die aus dem Felsgrund unter ihnen aufragten.
Sie erreichten die Mauerkrone und kletterten darüber. Yasuno zeigte ihnen schweigend die Richtung, und sie bewegten sich vollkommen geräuschlos davon. Ihr Ziel waren die Wachen, die entlang der Burgmauer und im oberen Burghof postiert waren.
Im unteren Burghof schritt das Stück bisher erwartungsgemäß voran. Wie Kawatake vorhergesagt hatte, kannten die meisten gebildeten Leute es, da es auf einer Quasi-Legende beruhte.
Der Bösewicht der uralten Geschichte wurde von dem Ronin Fuwa gespielt, dem diese Rolle Oishis Meinung nach wie auf den Leib geschrieben war. Er passte besser als die meisten anderen auf ein Schlachtfeld. Fuwa tauchte plötzlich zwischen den
tobari
auf und trug eine der Zeit angemessene Rüstung. Auf den Generalshelm hatte man ein rotes Gesicht aufgemalt, um Wut zu versinnbildlichen. Er zwang den falschen Kawatake und die anderen Schauspieler auf die Knie.
Kira saß da und schaute dem Stück zu. Er war von der sich entwickelnden Geschichte und den Gefühlen, die die Darsteller innerhalb
Weitere Kostenlose Bücher