47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
gezwungen, bis sie gegen die Palastmauern gedrückt standen und es keinen Ausweg mehr gab. Nur den unschlagbaren
tengu
-Schwertern hatten sie es zu verdanken, dass sie noch am Leben waren und schon so lange kämpften. Trotzdem stießen sie allmählich an die unausweichlichen Grenzen ihrer menschlichen Stärke und Ausdauer.
Die Ronin drängten sich noch enger im blutgetränkten Schnee zusammen, als Kiras Samurai immer näher kamen und ihre Verteidigung auf allen Seiten zu durchbrechen drohten.
Doch plötzlich gaben Kiras Männer ihren Vorstoß auf. Sie senkte ihre Waffen und zogen sich zurück. Bestürzung und Entsetzen stand ihnen in die Gesichter geschrieben.
Die Ronin schauten sich verwirrt an, waren aber einen Moment lang zu benommen, um zu erkennen, dass Kiras Männer nicht sie, sondern etwas hinter ihnen anstarrten.
Oishi
.
Oishi trat aus dem Palasteingang und blieb oben an der Treppe stehen. In einer Hand hielt er Kiras abgetrennten Kopf an den Haaren, in der anderen den blutigen
tantō
. Er starrte auf die feindlichen Soldaten hinab.
Schweigen legte sich über den Innenhof wie der fallende Schnee. Oishi hörte nur das gedämpfte Flattern der Banner im Wind. Er stand oberhalb seiner belagerten Männer und schaute Kiras Samurai an. Dabei hielt er den Kopf ihres Fürsten hoch über seinen, damit alle ihn sehen konnten. So blieb er reglos und erwartungsvoll stehen, wartete auf die Pfeile, die Speere, die Schwerter, die den Rachekreislauf schließen würden, damit der große Kreislauf der Zeit sich wieder in Bewegung setzen konnte.
Doch kein Pfeil traf ihn, kein Speer und kein Schwert – kein Feind ging auf einen seiner Männer los. Sie starrten ihn einfach an, während er in der Rüstung ihrer kriegerischen Ahnen vor ihnen stand und den abgetrennten Kopf ihres
daimyō
in die Höhe hielt. Er zeigte keine Angst, keinen Zweifel – sondern nur den gerechten Zorn von Bishamons göttlicher Rechtsprechung ...
Der Schock und das Entsetzen auf ihren Gesichtern verwandelten sich. Einer nach dem anderen warf seine Waffen fort, fiel im Schnee auf die Knie und verbeugte sich in Unterwerfung.
Kai und Mika traten aus dem Palast. Kai lehnte sich schwer auf Mikas Schulter. Unsicherheit zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab, weil Stille plötzlich die Kampfgeräusche ersetzt hatte. Sie standen gemeinsam am Eingang und waren offensichtlich erstaunt, als sie der siegreichen Ronin ansichtig wurden, die sich jetzt vor dem Palasteingang um Oishi geschart hatten. Dann sahen sie Kiras Kopf, den Oishi noch immer mit festem Griff in die Höhe hielt, und merkten, dass Kiras Samurai sich unterwürfig vor ihnen verbeugten.
»Für Fürst Asano!«, rief Oishi, und Fürst Asanos Ronin jubelten.
24
Der Morgen zog über den Bergen herauf. Der Sonnenaufgang erhellte das Schwarz-Weiß von Kiras Festung und malte die lebhaften Rot- und Goldtöne von Akos verbliebenen Bannern für eine kurze Weile auf die Mauern. Die Ronin und die Dame Asano bereiteten ihre Pferde und sich für die lange Heimreise vor.
Das Blaugrau von Kiras Fahnen versteckte sich in den Schatten, während arbeitsfähige Männer Vorräte zusammenpackten und Bahren bauten, um die Verletzten nach Hause zu tragen. Kiras frühere Samurai halfen unter Oishis Aufsicht, alles zusammenzutragen. Sein rechter Arm war wegen der Wunde, die ihm von Kira zugefügt worden war, verbunden und in einer Schlinge. Deshalb war er nicht zu körperlicher Anstrengung fähig.
Sein Geist war noch immer betäubt, und deshalb war er in diesem Moment sehr froh über die Hilfe. Es erstaunte ihn, dass seine Leute alle die Nacht überlebt hatten. Niemand hatte unverletzt überlebt, und einige von ihnen waren so schwer verwundet, dass sie auf den Bahren transportiert werden mussten. Doch sie würden alle Ako wiedersehen – dessen war er sicher.
Alle waren bereit gewesen, letzte Nacht zu sterben – einige hätten das vielleicht auch vorgezogen. Doch die Gerechtigkeit, der sie sich mit ihrem Blut verschrieben hatten, war nicht vollständig, bis sie nach Burg Ako zu Fürst Asanos Grab zurückgekehrt waren und seinem Geist den Beweis gezeigt hatten, dass das ihm widerfahrene Unrecht gerächt worden war.
Es schien, als wäre Bishamon letzte Nacht wirklich bei ihnen gewesen, um ihnen allen die Gelegenheit zu bieten, ihren Schwur bis zum Ende zu erfüllen, bevor sie ihre Schuld vor dem Gesetz begleichen mussten.
Nachdem Kiras Männer ihre Waffen gestreckt und sich ergeben hatten, schien ihre Mithilfe
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