47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
konnte. Jede Bewegung fühlte sich an, als würde sein Rücken noch einmal vom Horn des
kirin
aufgerissen.
Er unterdrückte einen Fluch, in dem ein Schmerzensschrei mitschwang. Er saß mit gekreuzten Beinen auf der Matte und zwang sich, ruhig zu atmen und sich zu entspannen, um seinen Körper darauf vorzubereiten, das Unmögliche zu vollbringen.
Er hob den Spiegel noch einmal, bereit, zu tun, was er tun musste, um zu überleben.
Seine Tür klapperte. Er verharrte mitten in der Bewegung und sah stirnrunzelnd hinüber. Die Tür glitt auf. Er hatte nicht einmal Zeit, zu fragen, wer da war.
Bevor er nach seinem Messer greifen konnte, öffnete sich die Tür vollends. Er starrte die Dame Mika ungläubig an, als sie eintrat. Das Messer und alle Worte, die er kannte, waren vergessen. Sie zögerte einen Moment, verharrte im düsteren Schein seines Feuers und leuchtete in ihrem nebelfarbenen Gewand wie der Mond. Sie war ebenso erschrocken wie er, dass sie ihm hier tatsächlich gegenüberstand.
Endlich sagte sie leise: »Man hat mir erzählt, du wärst verletzt.«
Er kniete bereits, und trotzdem zitterten seine Arme, als er eine ungeschickte Verbeugung machte. Er setzte sich wieder auf, solange er noch konnte, saß aber immer noch halb ausgezogen vor ihr, schmutzig und abgekämpft, in einer armseligen Hütte, die in ihren Augen bestimmt nicht besser war als der Hundezwinger. Er hielt seinen Blick auf den Boden gerichtet, als er murmelte: »Es ist nichts, Herrin.«
Mika kam trotzdem auf ihn zu. Er blickte auf und sah nur tiefe Besorgnis in ihrem Gesicht, sonst nichts. Es war, als wäre nichts anderes von Bedeutung ... nur er.
»Lass es mich ansehen«, bat sie und kniete sich neben ihn. Als sie ihn betrachtete, sah sie mehr als nur die Schrammen und blauen Flecken, die seine Brust und Arme bedeckten. Sie sah
ihn
an, seinen Körper, sein Gesicht, und in ihrem Blick lag mehr als einfaches Mitgefühl.
Er wich ihrem Blick aus, weil er einen Schmerz auslöste, der weitaus schlimmer war als jede körperliche Wunde, die er je davongetragen hatte.
Als er sich wieder im Griff hatte, nachdem er sich von ihr abwandte, hörte er, wie sie plötzlich erschrocken einatmete.
»Dein Rücken ...« Mikas Stimme war kaum zu hören.
Dann hörte er das sinnliche Rascheln der Seide, als sie sich neben ihm auf der Matte niederließ. Ihre Hand berührte ihn, und ihre Fingerspitzen fühlten sich so leicht auf seiner Haut an wie die Federn eines Vogelflügels. Er konnte das Zittern nicht kontrollieren, das ihre Berührung seinen Rücken hinaufjagte, die Gänsehaut am ganzen Körper auslöste. »Herrin«, sagte er heiser, halb protestierend, halb flehend. »Ich kann die Wunde selbst säubern ...«
»Nicht, wenn du sie nicht erreichen kannst.« In ihrer Stimme klang mehr Zärtlichkeit mit, als er je gehört hatte. Gleichzeitig verriet ihr Tonfall, dass sie es nicht erlauben würde, wenn er ihre Hilfe ablehnte. Sie war mehr die Tochter des
daimyō
als je zuvor, als sie seinen Körper berührte und damit jede Regel brach, die sie all die Jahre getrennt hatte.
Beschämt, unsicher und verängstigt, dass er ihr Leben ruinierte, einfach nur, weil es ihn gab, verbarg er sein Gesicht noch tiefer in den Schatten. So hatte sie einen besseren Blick auf seinen Rücken. Entweder würde ihr beim Anblick seiner Wunden schlecht werden und sie würde gehen, oder sie würde sie reinigen, so gut sie konnte, und gehen.
Hauptsache, sie ging
... denn das war das Letzte, was er wollte ...
Aber sie war ein Samurai, und zwar in jedem Aspekt, der dem Begriff je Respekt verliehen hatte. Sie war nicht einfach nur ehrenhaft, mitfühlend und gerecht im Umgang mit anderen, sondern furchtlos und schreckte nicht vor Situationen zurück, in denen die meisten Frauen – und Männer – der Mut verlassen hätte und sie eine Person zurücklassen oder ein Ziel als hoffnungslos verwerfen würden. Er hätte wissen sollen, dass seine Wunden nicht genug wären, um sie zu vertreiben.
Sie nahm den nasses Stofffetzen aus der primitiven tönernen Schale und reinigte seinen Rücken mit unendlicher Vorsicht.
Als er von der entsetzlichen Schwierigkeit, seine Wunden zu versorgen, befreit war, spürte er, wie die Anspannung aus seinen schmerzenden Muskeln wich. Er konzentrierte sich nur auf das Gefühl, wie nahe Mika bei ihm war, den Jasminduft, den ihr Haar verströmte, das Rascheln der Seide ... Ihre Hände bewegten sich so sanft, dass der unnachgiebige Schmerz seines zerfetzten Fleisches
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