47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
an.
Aber Chikara ließ sein
bokken
mit einer Schnelligkeit von seiner nun nutzlosen rechten in die linke Hand gleiten, die Oishi vollkommen überraschte, und riss Jinnai mit einem kräftigen Schwung die Füße unter dem Körper weg. Mit einem einzigen entscheidenden Schlag hatte er sowohl seinen Gegner überwältigt, als auch den Kampf für sich entschieden. Einen solchen Schlag hatte Oishi noch nie bei seinem Sohn oder irgendeinem anderen gesehen, der von Fürst Asanos Schwertmeister ausgebildet worden war.
»Chikara«, rief er.
Sein Sohn sah auf. Unter das Strahlen über seinen plötzlichen Sieg mischte sich Verwunderung über den Tonfall seines Vaters. Er stand bewegungslos da und blickte zu seinem Vater, während Jinnai sich vor Schmerz stöhnend aufrappelte.
»Jinnai«, sagte Oishi und entließ den älteren Jungen, bevor er auch nur etwas erwidern konnte. Er wartete, bis der ältere Junge außer Hörweite war. Chikara und Riku warteten gespannt, bis Oishi endlich frei heraus sagen konnte, was ihn beschäftigte. »Wer hat dir das beigebracht?«
Chikara zögerte und starrte ihn an. Die Euphorie in seinen Augen war wie eine Flamme erloschen, als er die Wut in der Stimme seines Vaters bemerkte. Er sah einen Augenblick zu lange nach unten, bevor er antwortete: »Niemand, Vater.«
Oishi spürte, wie sich die Hand seiner Frau sanft aber bestimmt auf seine Schulter legte. Sie erinnerte ihn daran, wie stolz Chikara sie immer gemacht hatte und dass sein Sohn seine Ermutigung weitaus nötiger hatte als seinen Zorn.
Oishi blickte weiter streng, ließ die Frage aber fallen. Das war eine Art der Schwertkunst, die eines herrenlosen Ronin würdig war, der sich auf der Straße schlug, weil er keine echten Kämpfe zu bestreiten und keine anderen Fähigkeiten hatte, auf die er zurückgreifen konnte. Sie war eines hochrangigen Offiziers – eines jeden Kriegers, der genug Ehre im Leib hatte, die es wert war, sie zu verteidigen – unwürdig. Oishi atmete tief ein. »Du stammst aus einer Familie von Samurai«, ermahnte er Chikara. »So kämpfen wir nicht.«
Der Stolz war nun vollkommen aus Chikaras Gesicht gewichen, doch für einen winzigen Moment glaubte Oishi, dass er tatsächlich protestieren wollte.
Stattdessen verbeugte sich Chikara respektvoll und akzeptierte die Zurechtweisung mit der Würde eines Ehrenmannes, während sein Vater sich umdrehte und zurück ins Haus ging.
Die Sonne war endlich hinter den fernen Hügeln verschwunden, als Mika und ihre Begleiterinnen mit Laternen die Burg verließen, um durch die Felder zu wandern und Glühwürmchen zu fangen. Das erzählten sie zumindest den Wachen am Tor. Der Saum von Mikas Gewand schleifte über den schlammigen Pfad, dem sie bis zum Wald folgten, dorthin, wo Kai sich seine einsame Behausung gebaut hatte. Der Zustand ihres liebsten Kimonos war allerdings die geringste ihrer Sorgen.
Sie hatte schon vor langer Zeit erfahren, wo Kai lebte, und war häufig diesem Pfad bis zu der Stelle gefolgt, von der aus sie seine Hütte am Waldrand erblicken konnte. Bis jetzt hatte sie es nie gewagt, bis zur Tür zu gehen. Sie hatte zu viel Angst, dass Kai ihr nicht öffnen würde.
Und selbst wenn sie hergekommen wäre und Kai ihr geöffnet hätte ... wenn das jemand herausgefunden hätte, wenn ihr Vater auch nur den leisesten Verdacht hätte ... was wäre dann aus Kai geworden? Der Gedanke daran, was ihm hätte widerfahren können – im besten Fall wäre er verbannt worden –, hatte sie immer ferngehalten, selbst wenn ihre Sehnsucht stärker war als die Angst, dass er sie wegschickte.
Was aus ihr selbst würde, wenn Kai sie einließ, hatte sie nie sehr beschäftigt. Sie war eine Frau, und somit war es ihr ohnehin nicht erlaubt, Ako zu erben. Das Lehen würde einem männlichen Verwandten ihres Vaters zufallen, es sei denn, er adoptierte einen männlichen Erben ... Bevor das passierte, ging sie davon aus, dass man sie zwingen würde, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte und wahrscheinlich noch nie gesehen hatte. Sie war nur ein Bauernopfer in der
shōgi
-Partie, die die
daimyō
seit Ewigkeiten auf dem Schachbrett Japans austrugen.
Glücklicherweise war ihr Vater ebenso unwillig, aus seiner Tochter ein Bauernopfer zu machen, wie sie selbst. Sie war längst aus dem Alter heraus, in dem um die meisten Töchter verhandelt wurde und man sie von zu Hause fortschickte. Ihr Vater hatte das Thema Heirat selten angesprochen, und ihre direkte und vollkommen ehrliche Antwort darauf
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