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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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das Land wie der Lauf der Gezeiten. Die Pflichten eines Samurai waren damals ganz klar: Er lebte und starb im Dienst für den Clan seines Herrn und keines anderen. Aber die Tokugawa-Dynastie hatte ihre eigene Interpretation des
bushidō
. Nun gehörte die oberste Loyalität eines Samurai dem obersten Herrscher – dem Shogun – und verdrängte die seit Generationen geltende Tradition des Diensts für den eigenen
daimyō
.
    Aber der Shogun war für die meisten Menschen, die mehr als eine Tagesreise von Edo entfernt wohnten, ein vollkommen Fremder. Samurai, die nicht zum enormen Bürokratieapparat des
bakufu
gehörten, hatten wenig Lust, ihr Leben dem Shogun zu widmen. Ganz besonders, wenn ihre Familien noch immer so lebten, wie sie es seit langer Zeit in einem entlegenen Land wie Ako getan hatten. Dort hatte der Asano-Clan seit gut hundert Jahren unabhängig und weitestgehend ungestört regiert. Offiziell hatten die Samurai von Ako den Treueeid auf das neue Regime geschworen, aber ihre wahre Treue galt unverändert ihrem eigenen Herrn.
    Das hatte auch niemand angefochten ... bis heute.
    Bislang hatte es nur wenige Deserteure unter den Truppen gegeben, die unter Oishis Kommando standen. Trotz der Tatsache, dass ihr Herr tot war, und der Realität, der sie sich stellen mussten. Die Hakenbüchsensöldner waren zurück in ihre Heimatprovinzen gegangen, aber sie waren einfache Männer und es war ihr gutes Recht. Die Bereitschaft der Truppen von Ako, die Stellung zu halten, ermutigte Oishi. Er war dankbar und überrascht, wie viele der Bauern und Dorfbewohner, die außerhalb der Burgmauern lebten, sich ihnen angeschlossen hatten. Eine Festung diente eigentlich als Zuflucht, nicht nur für die Edelleute, sondern auch für die Bürger von Ako, wenn sie durch die Invasion einer Armee bedroht wurden.
    In diesen Zeiten, in denen Ländereien eher friedlich den Besitzer wechselten – wenn auch unter Zwang – hatten einfache Leute nichts zu verlieren, wenn sie nichts unternahmen, und nichts zu gewinnen, wenn sie sich wehrten, außer einem blutigen Tod. Der Shogun sollte heute noch vor Sonnenuntergang ankommen. Oishi wurde klar, dass Fürst Asanos gütige Regentschaft und die Wut der Untertanen über das abrupte und scheinbar unerklärliche Todesurteil, ungewöhnlich starke Gefühle der Loyalität und des Widerstands selbst unter den Bewohnern der entlegensten Winkel geweckt hatten.
    Für die Samurai war es etwas anderes: »Samurai« bedeutete »Männer, die dienen«. Das ungeschriebene Gesetz, nach dem sie lebten, hatte sich über Jahrhunderte des Krieges und der Konflikte, die das Leben ihres Herrn in ihre Hand legten, entwickelt. Das schuf ein Band zwischen einem Samurai und seinem
daimyō
, das genauso stark war wie das einer Familie untereinander und zu ihrem Patriarchen. Oishi selbst war ein entfernter Blutsverwandter von Fürst Asano, aber es gab mehrere Arten von Blutsbanden. Selbst in Ländern ohne einen erleuchteten Herrscher wie den von Ako schlossen sich »Familien« zusammen, die von Feindseligkeiten zerfressen oder von einem Narren angeführt wurden, um eine Bedrohung von außen zu bekämpfen. »Freue dich nicht über den der geht, bis du den gesehen hast, der kommt«, sagte ein sehr altes Sprichwort.
    Die Männer, die Fürst Asano gedient hatten, waren seine Familie
. Das bedeutete, dass sie eine Bedrohung für jeden waren, der versuchte, ihr Land zu erobern – selbst für den Shogun. Darum hatte Fürst Asano zuerst sterben müssen – damit es keine geteilte Loyalität gab. Ohne einen Herrn erwartete man nicht, dass die Samurai sich widersetzten. Der Shogun war nun ihr einziger Herr, und ihm zu trotzen wäre Hochverrat.
    Wenn sie sich dennoch entschlossen, sich zur Wehr zu setzen, hatte der Shogun eine ausreichend große Armee und Ressourcen hinter sich, um sie zu zerstören. Alle, die Ako verteidigten und nicht in der Schlacht fielen, würde man hinrichten – sie würden alle sterben – auf die eine oder die andere Weise. Dies war ihre einzige Chance auf einen ehrenhaften Tod. Den wahren Samuraitod zu sterben, statt das unehrenhafte Leben eines lebendigen Toten zu führen: als herrenloser Ronin.
    Doch wenn sie kämpften, würden die Menschen, die bei ihnen Schutz gesucht hatten, ebenfalls sterben. Und wenn die Vergeltung erst einmal begonnen hatte, wussten nicht einmal die Götter, wie viele unschuldige Menschen sterben mussten, bevor das Abschlachten endete, einfach, um an den Rebellen ein Exempel zu

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