47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
versuchte, zu erkennen, ob sie die vollen Konsequenzen ihres Handelns verstanden. »Wer wird dann noch übrig sein, um unseren Herrn zu rächen?«
Niemand antwortete. Es stimmte, dass es keine Kriege gegeben hatte, seit das Tokugawa-Regime das Land in eine Militärdiktatur verwandelt hatte. Aber alle am Tisch wussten, dass es gelegentlich Rebellionen und gewalttätige Aufstände gegeben hatte. Wie den, über den sie gerade debattierten. Egal welcher Shogun an der Macht war, er hatte schnell und brutal ein Exempel an den Anführern und Mittätern statuiert, die lebend verhaftet werden konnten. Ebenso erging es allen, die ins Netz der überwältigenden Militärgewalt des
bakufu
gerieten. Es war völlig unbedeutend, wie viele Soldaten des Shoguns ihr Leben verloren, um einen überwältigenden Sieg zu erringen. Die Übernahme eines Landes durch das Shogunat hinterließ so viele hungrige Ronin, dass es sie im Dutzend billiger gab.
Er hatte Fürst Asano sein Wort gegeben. Sie hatten ihre Befehle – hatten sie bereits die ganze Zeit gehabt. »Fürst Asano hat sich geopfert, um Ako zu retten. Seine letzte Bitte war, dass Ako an erster Stelle steht ... Wir müssen das Wohl Akos an die erste Stelle setzen. Wir
unterwerfen
uns und ertragen jegliche Schande, bis wir glauben, dass die Gefahr vorüber ist.« Er zögerte, weil er die Blicke aller auf seinem Gesicht spürte. Er erwiderte ihren Blick, und sein Gesichtsausdruck glich plötzlich dem eines erbarmungslosen Raubvogels. »Dann schlagen wir zu.« Das tödliche Versprechen hinter diesen leisen Worten ließ die Männer erstarren. »Wenn Kiras abgetrennter Kopf auf dem Grab unseres Herrn ruht,
dann
können wir von Ehre sprechen.« Er erhob sich abrupt und verließ den Kartentisch. Er gab den Knappen am Eingang ein Zeichen, den geschlossenen Eingang zu öffnen. Als er den Burghof betrat, machte er seine Entscheidung endgültig.
Oishi stand da und sah zu, wie die Samuraioffiziere und ihre versammelten Truppen im oberen Burghof Aufstellung nahmen. Plötzlich drang der Ruf: »Alarm! Alarm!« von einem der Wachtürme, dann von einem weiteren, von dem aus die Straße zur Burg überwacht wurde. Die Offiziere, die die letzten Stunden damit verbracht hatten, zu streiten, stürmten hinter ihm aus dem Zelt und auf ihre Kommandoposten zu.
Der Moment, den er so lange gefürchtet hatte, war gekommen. Er sandte einen stummen Dank an die Götter, weil seine Wahl nun klar vor ihm lag ... und nicht einen Moment zu früh. Er schaute zum Palast hinauf und sah Mika auf einem Balkon stehen. Sie reckte sich, um einen Blick auf das zu erhaschen, was die Wachen gesehen hatten.
Der Burgvogt lief zum nächstgelegenen Wachturm und kletterte hinauf. Der Mann, der dort Wache hielt, gab ihm ein Fernrohr und zeigte stumm in eine Richtung. Oishi erkannte ohne den geringsten Zweifel, dass die Vorhut der Armee des Shoguns über den Kamm eines entfernten Hügels kam. Als er erst einmal begriffen hatte, was er da sah, bemerkte er auch, dass die Reihen der Truppen dahinter sich Hügelkamm um Hügelkamm auf der Straße entlangzogen, bis sie sich im Dunst verloren.
Wie viele Soldaten hatte der Shogun mitgebracht?
Die Frage war ebenso bedeutungslos wie die Antwort, merkte Oishi.
Zu viele
. Er konnte nun die glänzenden gold-schwarzen Rüstungen der Shogun-Ehrengarde an der Spitze erkennen. Ihre Flaggen und Banner zierte das Tokugawa-
mon
.
Der Shogun war wie versprochen zurückgekehrt ... und diesmal war er gekommen, um zu bleiben.
Mika betrachtete die herannahende Arme von ihrem Balkon aus. Die Waffen und Rüstungen schienen in der Nachmittagssonne geradezu Feuer zu fangen. Es schien ihr, als würde sich ein Drache auf die Burg zuschlängeln, der so unaufhaltsam war wie eine Naturgewalt.
Ihre Dienerinnen um sie herum weinten verzweifelt, aber sie hörte sie kaum. Sie war über den Punkt hinaus, Trauer und Angst zu empfinden. Wenigstens für den Augenblick befand sie sich in einem Zustand, in dem sie keine Emotionen mehr übrig zu haben schien. Sie erkannte vollkommen klar das Unvermeidbare und welche Möglichkeiten ihnen blieben.
In Gedanken hatte sie bereits die Ereignisse durchgespielt, die nun wahrscheinlich auf sie zukommen würden, und was sie selbst, abhängig von Oishis Entscheidung, tun würde. Sie vertraute darauf, dass er eine weise Entscheidung traf, weil sie wusste, welchen Respekt ihr Vater für seine Einschätzung militärischer Strategien gehegt hatte.
Eine ihrer Dienerinnen zupfte sie
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