47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
fangen wollen?“
„Ja.“
„Was hast du da gemacht?“
„Das was ich jetzt mache.“
„Ah. Was denn?“
„Ich bin ausgerissen. Adieu, Herr Hauptmann.“
Er hatte seinen Leinwandsack noch auf dem Rücken. Bei den letzten Worten drehte er sich blitzschnell um und sprang nach der Tür. Im nächsten Augenblick war er draußen, warf die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um, so daß ihm niemand folgen konnte. Drei, vier Stufen nehmend, sprang er die Treppe hinab und hinaus in den Hof. Dort flog er auf das Pferd zu, band es los, sprang in den Sattel und galoppierte davon.
Dieser ebenso kühne wie unvorhergesehene Vorgang hatte oben die Versammlung so überrascht, daß keiner daran dachte, ein Glied zu bewegen. Der Hauptmann war der erste weicher sich faßte.
„Er will fliehen“, rief er. „Rasch, schnell ihm nach.“
Er sprang nach der Tür, um sie zu öffnen.
„Tausend Teufel. Er hat den Schlüssel umgedreht.“
Er eilte nach dem Fenster und blickte hinab.
„Bomben und Granaten. Da springt er auf das Pferd. Da reitet er zum Tor hinaus. Wenn das so fortgeht, so entwischt er uns, ehe wir ihn wieder haben.“
Niemand dachte daran, zum Fenster hinabzuspringen. Alles rannte nach der Tür, um daran zu trommeln, bis eine alte Magd kam, welche der Gerichtssitzung nicht mit beigewohnt hatte. Sie öffnete, und nun stürmte alles hinaus und in den Hof hinab.
„Zieht die Pferde heraus“, gebot der Alte. „Wir müssen ihm nach.“
So viele Pferde vorhanden waren, so viele Reiter stürmten eine Minute später zum Tor hinaus, der Hauptmann ihnen allen voran. Ein Bauer kam ihnen entgegengeschritten.
„Thomas“, rief ihm der Hauptmann zu, „hast du nicht einen Kerl zu Pferd gesehen?“
„Ja, auf Ihrem Pferd“, lautete die Antwort.
„Mit einem Sack auf dem Rücken?“
„Ja, mit einem Sack.“
„Wo ritt er hin?“
„Er schien große Eile zu haben, aber er hielt doch bei mir an und fragte mich nach dem Weg nach Rodriganda.“
„So ist er nach Rodriganda zu?“
„Ja, Herr Hauptmann.“
„Gut, so holen wir ihn ein. Vorwärts, Jungens. Wer von Euch mir diesen Kerl wiederbringt, bekommt eine ganze Jahresgage gratis und einen neuen Anzug obendrein.“
So alt er war, er blieb von allen Verfolgern doch der vorderste. Es schien, als ob er sich die Jahresgage selbst verdienen werde.
Das Unbegreiflichste bei diesem Intermezzo war, daß kein einziger daran gedacht hatte, sich des Tierarztes zu bemächtigen. Dieser stand ganz allein im Zimmer und starrte auf die Tür, durch welche alle fortgestürmt waren.
„Jesses Maria“, sagte er. „Was soll ich tun? Auch ausreißen? Es ist das beste. Ich ein Wilddieb, ein Giftmischer und Seeräuber. Wenn ich jetzt glücklich zum Schloß hinauskomme, so verstecke ich mich acht Wochen lang, bis meine Unschuld an den Tag gekommen ist.“
Er schlich die Treppe hinab. Auf dem Hof war kein einziger Mensch zu sehen, denn selbst diejenigen, welche kein Pferd erhalten hatten, waren den Reitern eine Strecke weit zu Fuß gefolgt. Daher gelang es dem kleinen, vor Angst zitternden Männchen unbemerkt zu entkommen. Draußen vor dem Schloß wich er sofort von der Straße ab und schlug sich in die Büsche. Frau Helmers wartete vergeblich auf den Heiler ihrer perlsüchtigen Kuh. –
Einige Zeit vorher war ein leichter Wagen die Straße daher gerollt gekommen. Wo die Straße sich teilte, um nach Rheinswalden und Rodriganda zu führen, war der Wagen in der letzteren Richtung eingebogen. Man sah auf den ersten Blick, daß es ein Mietwagen war, der Kutscher paßte zu sehr auf den Bock einer Droschke. Der Insasse, welcher halbliegend im Fond des Wagens ruhte, war ein noch junger Mann, dessen militärischer Überrock in ihm einen Offizier erkennen ließ.
Nach kurzer Zeit tauchte das prächtige Gebäude des neuen Rodriganda vor ihm auf. Das Hofportal stand bereits offen, so daß der Wagen passieren und vor der Rampe halten konnte. Der Offizier stieg aus, lohnte den Kutscher, welcher das Schloß wieder verließ, ab und stieg die Freitreppe empor.
Dort wurde er von einem kleinen, sehr dicken Mann empfangen, welchen das Rollen des Wagens auf seinen Posten getrieben hatte. Es war der Kastellan des Schlosses.
„Herr Oberleutnant. Willkommen, willkommen“, rief er.
„Guten Morgen, lieber Alimpo. Bereits munter, in solcher Frühe?“
„Ja, Morgenstunde hat Gold im Munde. Das sagt meine Elvira auch.“
„Ist auch sie bereits wach?“
„Das versteht sich.“
„Aber
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